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Talk Talk

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Titel: Talk Talk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ein kobaltblauer Mond in zehn flüchtigen Phasen über einem maraschinoroten Planeten unter. Sie nahm seine Hand mit festem Griff und führte sie an die Lippen.
    »Da«, sagte sie, und alles an ihr schimmerte: die Ohrringe, der dünne Stoff des Kleides, ihre Augen, ihre Lippen, »siehst du? Ich mache besser.«
    Aber es war nicht besser. Er war mürrisch und verdrossen, er hätte am liebsten auf irgend jemanden eingeschlagen. Er machte seine Hand frei, nahm die Gabel und verteilte die rosigen Thunfischstücke auf dem Teller. »Hast du dein Handy dabei?« fragte er unvermittelt.
    Sie trank gerade einen Schluck Wein – der Fuß des Glases schwebte wie ein Kolibri vor der Blüte ihres Mundes. Sie mochte Wein. Sie mochte Wein noch lieber als er. Sie mochte auch Wodka. »Warum? Hast du deins verloren?«
    Er schüttelte den Kopf und streckte die Hand aus. »Ich hab’s zu Hause liegenlassen.«
    »Aber nein – du hast es gehabt in der Hand, als wir im Bridge Cocktails getrunken haben. Vor dem Smart-Mart. Weißt du noch? Du hast getelefoniert, um Madisons Klavierunterricht abzusagen.«
    »Vielleicht hab ich’s im Wagen vergessen.«
    Ein theatralischer Seufzer, und dann wich das besorgte Stirnrunzeln einem Ausdruck von Tadel und mütterlicher Mißbilligung – ja, und war es nicht die Mutterschaft, die sie alle verdarb, die ihnen den Status der allwissenden, allmächtigen Überfrau verlieh und alle anderen, selbst Großväter, Diktatoren und Auftragsmörder, wieder zu hilflosen Kindern machte? Als sie in ihrer Handtasche nach dem Handy kramte, flammte in seinem Kopf Wut auf – überall flackerten Blitze. Riß er es ihr aus der Hand? Vielleicht. Gut möglich. »Ich muß mal telefonieren«, sagte er, und es gelang ihm nur mit Mühe, die Wut in seiner Stimme zu unterdrücken. »Bin gleich wieder da.«
    Er war unterwegs zur Herrentoilette und schob sich an einer Gruppe von Anwaltstypen vorbei, die an der Bar standen – zwischen dreißig und sechzig, mit angelegten Ohren und Gesichtern, die, befeuert von ihrer Überheblichkeit, wie Halloweenkürbisse leuchteten, Glenfiddich im Glas, am Arm irgendwelche Schnepfen, Berkeley-Schnepfen, Stanford-Schnepfen, vielleicht sogar Vassar-Schnepfen –, als er zur Tür blickte und auf dem Teppich, im Schatten des Stehpults der Empfangsdame, die Silhouette eines kleinen Mädchens mit tragisch verzogenem Gesicht sah. Madison war barfuß, ihr Sommerkleid war verrutscht, das Henrietta-Pferdchen baumelte an dem Schwanz, den die winzige Faust umklammert hielt. Der Geruch des Meers stieß durch die offene Tür, ein Geruch nach Fäulnis und Kühlhäusern, der ihn daran erinnerte, wo er war und was es kostete, an einem Ort zu leben, wo man diesen Geruch Tag und Nacht jederzeit riechen konnte. Madison weinte. Nein, sie quengelte. Er konnte das leise, leiernde Jammern hören, es klang wie ein Streichinstrument – Cello, Geige –, das immer wieder dieselbe nervenzermürbende Phrase spielte. Zwei Paare erschienen plötzlich im Bild, standen hinter Madison und machten verwirrte, verärgerte Gesichter, als wären sie gerade in etwas Unappetitliches getreten, und die Empfangsdame – Carmela, achtzehn Jahre alt und so groß, schlank und honigmelonenbrüstig wie die kleine Schwester eines Models – beugte sich zu ihr hinunter, sichtlich beunruhigt, aber bemüht, etwas Beruhigendes zu sagen.
    Scheiß drauf , dachte er, soll sich Natalia darum kümmern , und wandte sich abrupt nach links, wobei er mit einer fischgesichtigen Frau mit Perlenkette, schwarzem Cocktailkleid und einem fünfhundert Meter tiefen Dekolleté zusammenstieß, die gerade von der Toilette kam. »Oh«, machte sie, als hätte er sie auf einem Footballfeld derart über den Haufen gerannt, daß sie keine Luft mehr bekam, »oh, es tut mir leid.« Mehr als das – die Bewegung, die Ablenkung – brauchte es nicht: Er hörte Madison nach ihm rufen, und als er sich umdrehte, rannte sie schluchzend auf ihn zu.
    Alles erstarrte, jeder reckte den Hals, um zu sehen, was da los war, selbst die Ober mit ihren Tabletts sahen über die Schultern und blieben stehen. Möglicherweise sagte einer der Anwälte etwas, Gelächter erklang, ein Gruppengelächter an der Bar hinter ihm, aber er blendete es aus. Madison kam direkt auf ihn zu, die nackten, schmutzigen Füße tappten durch ein Minenfeld aus Stiefeln, Mokassins und Pumps, und dann klammerte sie sich an sein Bein wie ein... wie hießen diese Fische, die sich an Haien festsaugten? »Ist alles in

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