Talk Talk
ihr von einem Zimmer zum nächsten. Ihr Haar leuchtete, ihre nackten Arme gestikulierten lebhaft, während sie in einer Schublade wühlte, etwas vom Nachttisch nahm, die eine Handtasche verwarf und eine andere aussuchte. »Ich bin ein bißchen spät dran«, rief sie über die Schulter und schlug die Badezimmertür hinter sich zu.
Bridger war nicht erfreut – er haßte es, zu schnell zu fahren und einen Strafzettel zu riskieren –, aber er fügte sich. Er trat das Gaspedal durch, die Reifen zwitscherten, und der Pick-up protestierte keuchend und stotternd, als er auf die Schnellstraße einbog. Er warf Dana einen Blick zu, doch sie merkte nichts von alledem. Ihm fiel ein, wie sie ihm von ihrem ersten neuen Wagen – einem VW Jetta – erzählt hatte: Der Motor lief so ruhig, daß sie nicht wußte, ob er überhaupt lief oder nicht, und immer wieder den Anlasser betätigte. Erst als die anderen Leute auf dem Parkplatz sie mit verzerrten Gesichtern und zusammengebissenen Zähnen anstarrten, bemerkte sie ihren Fehler. Es hatte etwas mit den Vibrationen zu tun, und sie gewöhnte sich nach und nach an, auf die kleinsten Hinweise zu achten, die die präzise arbeitenden Ventile in den perfekten Zylindern ihr gaben, und von da an war alles gut. Bei dem Pick-up war es natürlich anders. Doch sobald Bridger ihn auf Tempo gebracht hatte, gelang es ihm mit kreativen Manövern, an den Handy-Zombies und weißköpfigen Katatonikern vorbeizukommen, deren einziger Lebenszweck darin zu bestehen schien, die Überholspur zu blockieren. So holte er einen Teil der verlorenen Zeit auf, und sie erreichten Santa Paula mit nur zwanzig Minuten Verspätung.
Die Stadt war eine Überraschung. Hier herrschten nicht das übliche kalifornische Stilgemisch und die vom Bauherrn entworfenen Beleidigungen des Geschmacks vor, vielmehr erschien alles aus einem Guß, wie in einem alten Schwarzweißfilm. Alles wirkte geradezu unheimlich vertraut – die breite Hauptstraße, gesäumt von ein- und zweistöckigen Holzhäusern, die aus den vierziger Jahren stammten oder vielleicht sogar noch älter waren, der Haushaltswarenladen, das Schuh- und Bekleidungsgeschäft mit dem biederen Sortiment für Mom und Dad, mexikanische Restaurants, Cafés, Getränkeladen und Cantina –, und Bridger fragte sich, wie viele Filme hier wohl gedreht worden waren. Teenagerfilme. Halbstarke, die in zu perfekt gepflegten 55er Fords und Chevys herumfuhren, unterwegs zu irgendeinem Schwof. Triste Dramen über die Jugend alter Menschen. Sentimentale Weltkriegsstreifen, in denen der verkrüppelte Held bei seiner Heimkehr nicht unbedingt überall willkommen ist und alles knöcheltief im Schmalz watet. Heutzutage ließ sich das natürlich mit Hilfe von Digital Dynasty bewerkstelligen, doch Bridger tat es dennoch gut, das alles in Wirklichkeit zu sehen, die echten Gebäude einer echten Stadt. Sie krochen so langsam dahin, daß sie beinahe standen, und er zeigte auf den Zettel, der auf Danas Schoß lag. »Wie war noch mal die Hausnummer?«
Dana gab keine Antwort und sah weder auf seinen Finger noch auf seinen Mund. Sie schien ebenso verzaubert wie er. Ihr Kopf lehnte am Rahmen des offenen Fensters, die Beine waren übereinandergeschlagen, und ein Fuß baumelte, als wäre er nur lose mit ihr verbunden. Bridger mußte lächeln: Zum erstenmal seit Wochen war sie entspannt – die kurze Fahrt, die Aussicht auf Milos’ Hilfe und das Ende ihrer Sorgen wirkten wie eine Massage. Er mußte noch einmal auf den Zettel zeigen, bevor sie ihn ansah. »Eins-drei-drei-sieben«, sagte sie und spähte mit zusammengekniffenen Augen nach den Hausnummern.
Es gab jede Menge Parkplätze – die Stadt wirkte wie verlassen. Die Sonne schien, die Luft war warm, und es wehte eine leise Brise, die einen schwachen Meergeruch mitbrachte. Die Baumkronen nickten und winkten. Gegenüber erstreckte sich eine Fläche aus reinstem, chlorophyllreichem Grün und umspülte ein Denkmal zu Ehren der Kriegsveteranen oder eines Bürgermeisters, der längst das Zeitliche gesegnet hatte. Es war sehr... Ja, wie? Sehr beruhigend. Normal. Echt.
Milos’ Büro befand sich über einem koreanischen Lebensmittelgeschäft, das ausschließlich Bier und mexikanische Spezialitäten führte, und auf ihr Klopfen öffnete Milos selbst die Tür. Er war jünger als Radko, dünner, mit hohlen Wangen und schmalen, farblosen Lippen, doch die Frisur war die gleiche: Seine Haare waren gegelt und glänzten wie die Nase eines Wesens, das gerade dem
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