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Talk Talk

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Titel: Talk Talk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ausblasen. Sie warf einen Blick auf die LCD -Anzeige des Radios: 99,9 Classic Rock. Er sang irgendeinen unsterblichen Song, den er kannte und sie nicht, er sang vor sich hin, und alles an ihm war lebendig, konzentriert und schön, alles lief mit der Musik. Sie dachte nicht darüber nach, wie es war, dort zu sein, an dem Ort, an den die Hörenden sich versetzt fühlten, wenn sie Musik hörten – vermutlich so ähnlich, wie es für sie war, wenn sie schrieb oder las oder in der dunklen Kiste eines Kinos eingeschlossen war, wo die Schatten und Farben auf der Leinwand zuckten und verschmolzen und sie mit einer so intensiven Klarheit sah, daß sie den Blick abwenden mußte. Nein, sie fühlte die Musik durch ihn, durch das Wiegen seiner Schultern und die rhythmischen Schläge seiner Hand, und dann schlug auch sie den Rhythmus.
    Die Landschaft weitete sich. Das Armaturenbrett wackelte unter den Schlägen ihrer Hände. Und dann erschien ein Wagen auf der Nachbarspur und zog langsam vorbei, und Bridger sah Dana an, sein Lächeln wurde breiter, und er sang, er sang für sie, nachdrücklicher jetzt, energischer, deutlicher, seine Lippen: Who, who, who, who?
    Sie hatte nicht über den Augenblick hinausgedacht, sondern bloß ihre Taschen gepackt und die beiden neuen Kreditkarten eingesteckt, die sie anstelle der gesperrten hatte, denn es war ja alles ganz logisch und selbstverständlich: Der Dieb war in Mill Valley und hatte ein Postfach bei Mail Boxes U.S.A ., und sie würden dorthin fahren und ihn finden, ihn beobachten, sich anschleichen. Und dann? Die Polizei rufen. In Gedanken sah sie ihn zu seinem Postfach gehen, während sie draußen im Wagen saßen – sie kannten sein Gesicht, doch er kannte sie nicht – und auf dem Handy die Notrufnummer eintippten. Oder sie würden die Post selbst abholen und auf eine Adresse, ein Kundenkonto stoßen, und dann würden sie die Spur bis zu seinem Haus verfolgen und ihn dort festnageln (jawohl, so wie man ein Brett festnagelte). Und sie sah ein Einsatzkommando, das sich auf ihn stürzte, Männer mit Helmen und kugelsicheren Westen, knallrote Lichter, die auf den Wagen blitzten, ein knatternder Hubschrauber, und wenn man ihn dann abführte, in solchen unnachgiebigen Handschellen, wie man sie ihr angelegt hatte, würde sie ihm entgegentreten und ihm ins Gesicht spucken, und auch vor Gericht würde sie gegen ihn aussagen, die perfekte, vollkommen beherrschte Zeugin, und der Dolmetscher würde reglos neben ihr sitzen.
    Das war die Phantasie. Die Wirklichkeit – bei dem Gedanken daran krampfte sich ihr Magen zusammen – war möglicherweise ungewisser und gefährlicher. Wie dumm war dieser Mann? Wie sehr würde er noch in ihre Hauptidentifikatoren verliebt sein, wenn er merkte, daß man ihm auf der Spur war? Er konnte jetzt schon über alle Berge sein und einen neuen Namen, eine neue Identität angenommen haben, ein ernstzunehmender Gegner für jeden Amateurdetektiv. Er konnte überall sein. Er konnte irgend jemand sein. Und dennoch: Bei dem Gedanken daran, was er ihr ohne Zögern, ohne Gewissensbisse, ohne den Hauch eines menschlichen Gefühls angetan hatte, fühlte sie die Wut in sich aufwallen, die in ihr immer präsent war, die Wut, die sie angesichts von Scham, Unzulänglichkeit und Herablassung empfand. Rache – das war es, was sie wollte. Sie wollte ihm so weh tun, wie er ihr weh getan hatte. Mehr nicht.
    Als sie das nächste Mal aufsah, fuhren sie gerade an King City vorbei. Bridger klopfte nicht mehr auf das Armaturenbrett, und er sang auch nicht mehr. Eine Hand hing schlaff über dem Lenkrad, und er saß zusammengesunken da und sah müde aus. Oder alle, im Sinne von »kaputt, am Ende«. Sie berührte seinen Arm, und er wandte den Kopf. »Bist du müde?« fragte sie. »Sollen wir anhalten und was essen?«
    Er nickte, und das war Antwort genug, denn sie konnte ja nicht erwarten, daß er auf die Straße sah und ihr gleichzeitig seinen Mund zeigte. Doch dann wandte er sich ihr zu und sagte: »Worauf hast du Lust? Mexikanisch?«
    »Gut«, sagte sie.
    Er grinste, als sie die Schnellstraße verließen und auf die Hauptstraße – die einzige Straße – eines Städtchens fuhren, das aus einem Lebensmittelgeschäft, einer Tankstelle, einer Cantina und zwei kleinen, konkurrierenden Taquerias namens La Tolteca und El Sitio bestand. »Treffer«, sagte Bridger und stellte den Motor ab.
    Sie entschieden sich für El Sitio, ohne daß sie hätten sagen können, warum. Es gab keinen erkennbaren

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