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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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fuhr auf einem Motorroller vorbei, dicht gefolgt von einem anderen. Das asthmatische Nölen der Motoren bohrte sich in die Stille des Raums. Bridger fühlte sich plötzlich elend. Er dachte an sich selbst, egoistische Gedanken, das »Und was ist mit mir?«, das auf jede Widrigkeit, jede menschliche Tragödie folgt. Diese Kündigung bedeutete, daß Dana umziehen müßte, unweigerlich, und was wurde dann aus ihm?
    Sie war aufgesprungen, wütend, ungeduldig, sie fuchtelte mit den Armen und straffte erregt die Schultern. »Weil ich im Gefängnis war. Er gibt mir die Schuld. Fehlt nur noch, daß er mir Vernachlässigung meiner Pflichten vorwirft.«
    Er wollte sie in die Arme nehmen, sie halten und trösten, doch sie stieß ihn fort. »Hier«, sagte sie und hielt ihm einen zweiten Brief hin, als wäre es ein Messer. »Hier, das schlägt dem Faß den Boden aus.«
    Der Brief kam von der Führerscheinstelle. Vor einem Monat hatte sie, wie er selbst vor zwei Jahren, einen neuen Führerschein beantragt. Sofern nichts vorlag, schickte die Führerscheinstelle diesen auf Wunsch per Post zu. Das bedeutete, daß man kein neues Foto vorlegen mußte. Dana hatte natürlich um die Zusendung des Führerscheins gebeten, denn die 37-Cent-Briefmarke ersparte einem die Fahrt zur Behörde und endloses Warten in irgendeiner Schlange. Gut. Schön. Wo also war das Problem? »Ist das dein neuer Führerschein?« fragte er.
    Ihre Augen blickten hart, glühend. »Sieh ihn dir mal an.«
    Er hörte, daß die Tür hinter ihm einen Spaltbreit geöffnet wurde, drehte sich um und sah für einen Augenblick das blasse Oval von Courtneys Gesicht, bevor die Tür wieder geschlossen wurde. Er zog den laminierten Führerschein aus dem Umschlag. California Driver License stand darauf. Danas Name stimmte, die Adresse stimmte, doch das Geschlecht, die Größe, das Gewicht sowie die Unterschrift des Eigentümers stimmten nicht. Aber das war noch nicht das Schlimmste. Die beiden Fotos – das größere auf der linken und das kleinere auf der rechten Seite – zeigten den Mann, der auch auf den anderen Fotos gewesen war, und er sah sie direkt an.
    An Arbeit war nicht mehr zu denken. Dana war außer sich. Jeden Tag, so schien es, brachte der Briefträger irgendeine neue schlechte Nachricht: Inkassoagenturen forderten Zahlungen für Dinge, die sie nie gekauft hatte, die BMW -Niederlassung rief einen Z-4 in die Werkstatt zurück, den sie nie gesehen hatte, man benachrichtigte sie über die Ablehnung eines Kreditantrags, den sie nie gestellt hatte. Und jetzt hatte sie ihren Job verloren und fuhr mit einem abgelaufenen Führerschein herum. »Was kommt als nächstes?« rief sie mit erstickter, spröder Stimme, die sich an den Wänden brach wie der Schrei eines in einer Schlinge gefangenen Tieres, und sie packte Bridgers Arm so fest, als müßte sie eine Blutung stillen – nur daß er gar nicht blutete. Noch nicht. »Muß ich wieder ins Gefängnis? Sag’s mir. Was soll ich tun?«
    Er wollte sie umarmen, doch sie ließ es nicht zu, denn mit einemmal war er der Bösewicht, das Double des Verbrechers, das nächstbeste warmblütige Wesen, auf das sie sich stürzen konnte. Ein Mann. Behaarte Beine und baumelndes Fleisch. Ein Mann wie der, der ihr dies angetan hatte. »Ich weiß es nicht, wirklich«, sagte er. Sie hielt noch immer seinen Arm umklammert, ihre Nägel gruben sich in seine Haut, und sie schwankten beide. Unvermittelt spürte er Ärger in sich aufsteigen: Sie drehte durch, sie war verrückt. Scheißverrückt. »Laß los, verdammt!« rief er und stieß sie von sich. »Scheiße, Dana. Scheiße, ich war’s nicht. Ich kann nichts dafür.«
    In diesem Augenblick wurde die Tür hinter ihnen aufgestoßen, und da stand Radko mit seinem ernsten Gesicht, den billigen Schuhen und der billigen Uhr. »Ich will das nicht«, sagte er langsam und deutlich. »Nicht in meinem Büro.«
    Dana funkelte ihn an. Noch ein Mann, auf den sie am liebsten losgehen würde. »Ich könnte ihn umbringen«, sagte sie.
    Radko musterte das abgeschabte Grau des Fußbodens. »Wen? Bridger?«
    Bridger begriff, daß er an einem Kreuzweg stand, daß er sich bald, sehr bald, zwischen Digital Dynasty und dieser sich wie wild gebärdenden Frau mit dem wirren Haar und den wütenden Augen würde entscheiden müssen. Der verrückte Gedanke, er könnte einfach hinausgehen, schoß ihm durch den Kopf, doch er beherrschte sich. Konflikt war ihm fremd, ein Zustand, den zu vermeiden ihm immer – oder beinahe immer

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