Talk Talk
Unterschied zwischen den Restaurants: In beiden war es dunkel, denn Strom kostete Geld, und beide wurden von den Frauen, Großeltern und Kindern von Männern geführt, die auf dem Feld waren. An der Wand standen vier Tische, es gab eine brusthohe Theke, und dahinter war die Küche. Die Gerüche waren dunkel und hartnäckig, aber gut, ein dichtes Aroma aus alten Chili, Bohnenbrei in einem Topf mit dickem, angebranntem Bodensatz, Pfefferschoten, Zwiebeln und der immer heißen Bratpfanne. Einer der Tische war von zwei weißen Frauen in Übergrößen und mit ungleichmäßig gefärbten Haaren besetzt – sie waren offenbar ebenfalls unterwegs nach irgendwohin –, die mißmutig die folienumwickelten Reste ihrer Burritos musterten und ihre Dos-Equis-Flaschen umklammerten, als wären es Feuerlöscher. Am Tisch hinter ihnen saß eidechsengleich ein alter Mann in weißer Hose und weißem Kittel und stocherte mit einer rosaroten Plastikgabel zögernd in einer Portion Rührei und Bohnen. An der Wand hing eine handgeschriebene Speisekarte.
Bridger studierte sie kurz und wandte sich an die Frau hinter der Theke. Er sagte etwas, was Dana nicht verstand – sprach er vielleicht Spanisch? –, und sah dann zu ihr. »Weißt du schon, was du willst?«
»Nein«, sagte sie und bewegte unwillkürlich die Hände. Sie sah auf die Speisekarte und dann wieder zu ihm. »Ich kann selbst bestellen.«
Die Frau hinter der Theke war klein und zierlich wie ein Kind, obgleich ihr Haar bereits grau wurde. Sie sah die beiden unbewegt an. Sie war da, um die Bestellung entgegenzunehmen, das Geld zu kassieren, den Gästen ein Plastikkärtchen mit einer Nummer zu geben und die Nummer auszurufen, wenn das Essen fertig war, und ihre Augen verrieten wenig Interesse, das darüber hinausging. Die Speisekarte war auf spanisch: Taco de chuleta; Taco de rajas; Taco de cazuela; Tamal de verduras . Das war kein Problem. Dana lebte jetzt seit über einem Jahr in San Roque und kannte die Grundlagen der mexikanischen Küche so gut wie die der italienischen, französischen oder chinesischen, und um es ihr noch leichter zu machen – sie mühte sich nur ungern mit der Aussprache ab, Englisch war schon schwer genug –, stand vor jedem Gericht eine Nummer. Sie entschied sich für das fünfte auf der Liste, Tostada de pollo , sah die Frau an und sagte so deutlich wie möglich: »Nummer fünf, bitte.«
Für einen langen Moment musterte die Frau sie aus Augen, die so dunkel waren, daß Iris und Pupille sich nicht voneinander abhoben, und dann blickte sie Bridger an und sagte etwas in ihrer Sprache, das er zunächst nicht zu verstehen schien. Sie wiederholte es, und Bridger nickte. In dem langen Streifen Sonnenlicht, der durch die Tür fiel, sahen seine blassen Haarstoppeln durchscheinend aus. »Sie möchte gern die Nummer fünf«, sagte er und wiederholte es in seinem High-School-Spanisch.
Sie setzten sich an den Tisch neben dem der beiden Frauen – wie viele Amerikaner waren übergewichtig? Dreißig Prozent? War das die Zahl, die sie gelesen hatte? –, und Bridger holte die Getränke: eine Dose Cola Light für Dana und eine Horchata für sich selbst. Die Frauen beugten sich mit leuchtenden Augen über den Tisch, ihre Gesichter waren nur Zentimeter voneinander entfernt. Sie sprachen über Privates, tauschten Klatsch aus, und Dana wünschte beinahe, sie könnte hören, was sie über ihre Männer und Geliebten, ihre Krankheiten und Schönheitsbehandlungen, über ihre Kinder, die sie immer enttäuschten, zu sagen hatten. Statt dessen fragte sie Bridger, was die Frau hinter der Theke gesagt habe. »Und warum hat sie mich nicht verstanden? Hab ich undeutlich gesprochen?«
Er schlug die Augen nieder. »Nein, das war es nicht. Oder vielmehr doch. Sie hat... Ihr Englisch ist nicht besonders gut...«
»Ja? Aber was hat sie gesagt?«
Er wirkte betreten – oder widerwillig –, und sie spürte, daß ihr Gesicht heiß wurde.
»Es war etwas Beleidigendes, stimmt’s?«
»Ich weiß nicht«, sagte er, und dann fügte er etwas hinzu, was sie nicht verstand.
»War es auf spanisch?«
Anstatt es zu wiederholen, zog er einen Stift aus der Tasche und schrieb das Wort auf eine Papierserviette: sordomudo .
Dana lief rot an. »Taubstumm?«
Er nickte.
Sie wollte fragen: »Woher wußte sie das?« Statt dessen sah sie zu der Frau, die mit gesenktem Kopf auf einem Schemel an der Kasse saß und in einer mexikanischen Boulevardzeitung blätterte. Sie trug goldene Ohrringe, die winzige
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