Talk Talk
Lüge. Alles ist wirklich: der Wagen, die Ohrringe, das, was ich für dich und Madison empfinde.« Er sah zur Seite: Der Vogel war verschwunden, verscheucht durch ihre Geste und die Heftigkeit ihrer Stimme. »Es ist doch bloß ein Name.«
Eine lange Stille trat ein. Das Murmeln des Fernsehers im Nachbarhaus drang in Pecks Bewußtsein, ein Geräusch, so unbestimmt wie das Rauschen der Brandung oder der Gesang von Walen. Doch es war weder das eine noch das andere. Es war nur das Geräusch eines Fernsehers. Dann sagte sie: »Wenn du nicht Da-na bist, wer bist du dann?«
Er zögerte keinen Augenblick. Er sah ihr in die Augen. »Bridger«, sagte er. »Bridger Martin.«
DRITTER TEIL
EINS
»Das ist gut«, sagte Bridger und gebärdete, um seine Aussage zu bekräftigen. »Gefällt mir.« Er nickte energisch – Kinn rauf, Kinn runter. Sein Lächeln wurde breiter. »Wirklich gut.«
»Wirklich?« sagte sie und spürte, daß sie errötete. »Du sagst das nicht bloß einfach so?«
Sie saßen in ihrem Wagen, den sie, nach einer kurzen Fahrt von San Francisco über die Golden Gate Bridge, gegenüber der Filiale von Mailboxes U.S.A. in Mill Valley, Kalifornien, geparkt hatten. Dana war noch nie hier gewesen. Für sie war Mill Valley bisher nichts weiter als der Name eines Ortes, irgendwo nördlich von San Francisco. Es war ein hübsches Städtchen, fand sie, mit Eichen und Kiefern und einem Berg, der das alles überragte, mit Straßen, denen es gelang, städtisch und ländlich zugleich zu wirken, und einer sorgfältig kultivierten Kleinstadtatmosphäre – genau der Ort, wo ein Dieb gern leben würde. Bäume, hinter denen er sich verbergen konnte. Geld, das mit leiser Stimme sprach. Anonymität.
Seit zwei Stunden saßen sie nun in dem geparkten Wagen. Am Tag zuvor hatten sie sich in einem Hotel in Monterey einquartiert – Bridger hatte darauf bestanden, ihr das dortige Aquarium zu zeigen, das ihr, trotz aller Vorbehalte, gefallen hatte: Haie, die mit einem Flossenschlag irgendwelche verborgenen Energiequellen anzapften, Fische, die in dem großen, zwei Stockwerke hohen Becken wie Schmetterlinge schwebten, als wäre dies ein Salzwasser-Disneyland. Heute morgen waren sie früh aufgestanden und auf dem kürzesten Weg nach Mill Valley gefahren. Mit Hilfe der Karte, die Bridger aus dem Internet heruntergeladen hatte und auf der die Mailboxes-Filiale mit einem roten Stern gekennzeichnet war, hatten sie die Adresse mühelos und ohne langes Suchen gefunden, und wenn sie damit gerechnet hatte, dieser Laden wäre irgendwie zwielichtig und der Verbrecher werde an einem Kopierer stehen und sie angrinsen, so sah sie sich enttäuscht. Die Filiale wirkte genau wie jede andere. Mailboxes U.S.A. Da war es also. Leute gingen hinein, Leute kamen heraus.
Aber was sollten sie als nächstes tun? Bridger schlug vor, sie solle einfach zum Tresen gehen, sich als Mieterin des Postfachs ausgeben und sagen, sie habe den Schlüssel verloren. Sie konnte sich ja ausweisen (wenn sie nicht Dana Halter war, wohnhaft in Pacific View Court 31, wer dann?) und nachsehen, was im Postfach war: Rechnungen, Briefe, ein Kontoauszug – irgend etwas, auf dem die Adresse dieses Kerls stand. Und dann wären sie am Drücker. Dann hätten sie ihn. Dana wußte, daß Bridger recht hatte. Es war die logische Vorgehensweise, denn sie konnten ewig hier herumsitzen und den Eingang beobachten – vielleicht kam der Typ einfach nicht, und wenn er kam, würden sie ihn möglicherweise nicht erkennen. Schließlich hatten sie bloß ein Foto von ihm, und Fotos zeigen immer nur eine Version eines Menschen, die Version eines Augenblicks, und was, wenn er sich einen Bart hatte wachsen lassen oder seine Haare gefärbt hatte? Oder er schickte jemand, um die Post abzuholen – seine Frau, seine Tochter, womöglich seinen schwulen Partner. Vielleicht trug er einen Hut, eine Sonnenbrille, einen Sack über dem Kopf. Nein, Bridger hatte recht, aber sie war es, die hineingehen und gegen das Gesetz verstoßen mußte, nicht er. Ihr Leben lang hatte sie sich in zwischenmenschlichen Situationen abmühen müssen, sich verständlich zu machen, während die Leute sie mit diesem Komm-mir-bloß-nicht-zu-nahe-Blick bedacht hatten. Was, wenn man sie fragte: »Welche Nummer?« Welche Nummer? Dann würde die ganze Sache auffliegen – wahrscheinlich würden sie die Polizei rufen. Eine Frau mit verdächtig lauter Stimme versuchte, sich in zweifellos betrügerischer Absicht den Postfachschlüssel eines
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