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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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zerlegten. Er nahm eine Hand vom Lenkrad und rüttelte Danas Knie, bis sie ihn ansah. »Du blutest«, sagte er. »Das Hemd ist voller Blut.«
    Ihre Stimme drang wie aus weiter Ferne an sein Ohr, die Reifen zischten, die Scheibenwischer rumpelten. »Es ist nichts. Nur eine Beule.«
    »Eine Beule? Hast du mich nicht verstanden? Du blutest.«
    »Wir können jetzt nicht anhalten«, sagte sie und wandte sich ab, und damit war dieses Thema erledigt. Schweigend fuhren sie weiter. Andere Fahrzeuge tauchten aus dem Zwielicht auf, auf der Gegenfahrbahn kroch ein Safeway- LKW mit eingeschalteten Warnblinkern dahin. Und plötzlich machte sie etwas mit ihren Händen, irgend etwas Hektisches, und ließ das T-Shirt fallen, so daß er die Wunde sah, einen Schlitz wie einen Mund, rot und roh. »Da, da«, rief sie, und sein Blick ging wieder auf die Straße, »sein Blinker. Er will auf den Freeway.«
    Das Lenkrad war aus Beton, aus Blei, es wog mehr als der ganze Wagen, doch es gelang Bridger, es zu drehen und dem Mercedes auf die Zufahrt zur 101 in Richtung Norden zu folgen. Die Straße weitete sich zu mehreren Fahrspuren mit einem schlingernden Konvoi von Lastwagen und den schlanken Pfeilen der Pick-ups und Limousinen, die auf ein unsichtbares Ziel in der Ferne zuschossen. »Eureka«, sagte sie, und ihre Stimme verriet ihre Aufregung, »er will nach Eureka. Oder nach Oregon.«
    »Ja, kann sein«, sagte er und verlangsamte die Fahrt, damit ein verbeulter blauer Pick-up zwischen dem Mercedes und ihnen einscheren konnte.
    »Er verläßt die Stadt. Er haut ab.«
    War es so? Hatten sie ihn nervös gemacht? Ihm vielleicht gar angst gemacht?
    Plötzlich überkam Bridger ein Hochgefühl, als wäre er allmächtig: Er war The Kade, und dieser Typ, dieser Verbrecher, war nichts weiter als irgendein Komparse mit einer Eidechsenmaske, ein Nichts. Er knirschte mit den Zähnen und packte das Lenkrad fester. Diesmal, mein Lieber , dachte er, gehst du in den Knast, und ich bin gespannt, wie es dir da gefällt. Aber was war der Plan? Sollten sie die Polizei anrufen? Sein Kopf arbeitete fieberhaft. Was sollten sie denen sagen? Daß sie einen Verbrecher verfolgten, der jemandem die Identität gestohlen hatte – Danas Identität, die Identität einer jungen Frau, einer gehörlosen Frau – und daß er auf der 101 direkt vor ihnen war, in einem roten Mercedes mit Händlerkennzeichen. Daß er auf der Flucht war. Daß er zu entkommen drohe. Aber wo waren die Beweise? Sie würden dabeisein müssen, wenn der Kerl angehalten wurde, denn sonst würden die ihn einfach laufenlassen – er fuhr ja nicht mal zu schnell. Dieser Typ – Bridger konnte seine Silhouette durch das Heckfenster und die Windschutzscheibe des Pick-ups und die gewölbte Heckscheibe des Mercedes gerade noch erkennen – hatte einen Fahrstil, als wäre er unterwegs zur Kirche. Und vielleicht war es ja so. Vielleicht würde er den Freeway verlassen und zu einer Kathedrale aus Glas und Stuck fahren, und sie würden ihm folgen und ihn verhaften lassen, wenn er gerade vor dem Altar kniete und seine Seele reinigte. Wäre das nicht ironisch? Das war der Dieb, ganz eindeutig, und solange sie an ihm dranblieben, konnte er sich aus dieser Sache nicht mehr herauswinden.
    »Ja«, sagte er, und er sagte es zu sich selbst, denn Dana sah ihn nicht an, »vielleicht.«
    Bevor er darüber nachdenken und zwei Möglichkeiten aneinanderfügen konnte, bog der Mercedes auf den Sir Francis Drake Boulevard und dann auf die 580 ab, die über die Richmond Bridge führte. Der blaue Pick-up fuhr geradeaus weiter, und Bridger ließ sich etwas zurückfallen, als der Nebel sich auflöste und der Mercedes schneller wurde. »Ruf die Polizei an«, sagte Dana, »ruf die Polizei an«, doch er setzte den Blinker, wechselte die Spur und fuhr ebenfalls ein wenig schneller. Der andere durfte sie nicht bemerken – wenn es darauf ankam, würde der Mercedes ihnen einfach davonfahren. »Noch nicht«, sagte er. »Wir müssen sehen, wohin er will, wir müssen dabeisein.«
    Erst als sie dem Mercedes auf die I-80 in Richtung Sacramento gefolgt waren, dachte Bridger daran, einen Blick auf die Tankanzeige zu werfen: Da war sie, genau vor ihm, ein schlichtes Kontinuum von voll bis leer, von Fahrt bis Stillstand, und zunächst drang das Gesehene gar nicht zu ihm durch. Er war ein bißchen benommen und unkonzentriert, er dachte nicht an Benzin – Benzin war einfach etwas Gegebenes. Und so dauerte es einen Augenblick, bis wieder Adrenalin

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