Talk Talk
einfach da, seine Hände am Lenkrad zitterten. Dana hatte die Knie bis zum Kinn angezogen, als wollte sie sich vor einer unsichtbaren Kraft schützen, und sah ihn von der Seite mit einem Blick an, der ihm durch und durch ging. Ungläubigkeit lag darin, und die empfand er ebenfalls. Enttäuschung. Kummer. Und noch etwas anderes: Erbitterung. Sie war erbittert. Über ihn. Unwillkürlich wallte Zorn in ihm auf. »Was? Was ist? Soll ich aussteigen und ihn zu Fuß verfolgen?«
Die Wunde auf ihrer Stirn verschorfte bereits; unter dem gezackten Fleck aus getrocknetem Blut bildete sich eine gelbliche Schwellung. Ihre Hände fuhren ihn an: Nein, du sollst aussteigen und Benzin holen. Und dann zeigte sie auf ein Gebäude an der Landstraße, die parallel zum Freeway verlief: eine Tankstelle, Shell. Und wie weit entfernt? Fünfhundert Meter?
Er hatte die Tür bereits geöffnet und war eigentlich schon unterwegs, doch er konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihr mit gleicher Münze zurückzuzahlen, denn er war ebenso aufgebracht und wütend wie sie, und wie kam sie dazu, ihm die Schuld zu geben? Als hätte er diesen Schlamassel geplant, als wäre es seine Sache, sich um den Wagen zu kümmern – und dabei war es nicht mal seiner. »Wozu?« sagte er. »Meinst du, er hält irgendwo an und wartet auf uns? Hm? Glaubst du das?«
Ein Lastwagen rauschte vorbei. Der Sog ließ den Wagen schwanken. Dana verzog das Gesicht. Ihre Hände flogen ihm entgegen; sie gebärdete wütend und stieß gleichzeitig die Worte hervor: »Scheiße, Scheiße, Scheiße! Los, nun mach schon, du Idiot, du Penner, du –« Aber er war schon weg, die Tür fiel zu, und nach ein paar Metern begann er zu rennen, wütender als je zuvor in seinem Leben, rasend, schäumend vor Wut, aber doch froh, nicht mehr neben ihr im Wagen zu sitzen.
Das ganze Fiasko kostete sie zwanzig Minuten, vielleicht eine halbe Stunde, er wußte es nicht genau. Einen Kanister in der Hand, so schwer und unhandlich wie eine Kanonenkugel, trabte er zum Wagen zurück, und dann fuhr er mit Vollgas zur nächsten Ausfahrt und zurück zur Tankstelle, um vollzutanken. Er mußte Dana um Bargeld bitten, denn an der Kasse wollten sie seine Kreditkarte nicht akzeptieren, und er war nicht in der Stimmung, lange herumzustreiten. Und dann jagten sie ohne jede Diskussion, ob sie die Polizei anrufen und eine Beschreibung des Wagens durchgeben, Anzeige erstatten, zu einem Krankenhaus fahren oder irgendwo frühstücken und Nährstoffe aufnehmen sollten – Eier, Speck, Tabascosauce und Kaffee, Herrgott –, auf dem Freeway dahin, sinn- und hoffnungslos, und der Jetta muckte kaum, als Bridger ihn auf hundertsechzig beschleunigte und diese Geschwindigkeit beibehielt.
Keiner von ihnen sagte etwas. Er fühlte sich seltsam ruhig; er stand jenseits des Gesetzes, war unerreichbar für diese Normalbürger in den langsam dahintreibenden Limousinen und Cabrios und Pick-ups. Er brauste an ihnen vorbei, wechselte die Spur, ohne den Fuß vom Gas zu nehmen, und ihre erschrockenen, empörten Blicke waren ihm gleichgültig. Der Nebel hatte sich aufgelöst, und die Sonne glänzte auf den Personenwagen und LKW s, deren aufgereihte Kette sich ins Unendliche erstreckte, und die Vegetation rechts und links der Straße verschwamm zu einem goldbraunen Streifen, in dem immer wieder im Gras liegende Aluminiumdosen aufblitzten. Bridger schwitzte. Seine Hände strichen über das Lenkrad, nahmen winzige Korrekturen vor und steuerten mit all der Finesse und überlegenen Koordination von Augen und Fingern, die ihm sonst an der Playstation zugute kamen – und welches Spiel spielte er hier?
Zwanzig Minuten nachdem er das Gaspedal bis zum Bodenblech durchgetreten und sie die Tankstelle hinter sich gelassen hatten, machte sie zum erstenmal wieder den Mund auf. Und was sie sagte, war: »Nimm die nächste Ausfahrt, die U.S. 50 nach Lake Tahoe. Er fährt zum Lake Tahoe, ich weiß es. Ich spüre es. Fahr hier raus, fahr hier raus!«
Warum sollte der Kerl nach Tahoe fahren? Er war auf der Flucht, er war auf der I-80 Richtung Osten unterwegs – offenbar wollte er nach New York. Um unterzutauchen. Um sie abzuschütteln. Sie waren bei ihm gewesen, sie hatten an seiner Tür geläutet, und jetzt war er auf der Flucht. »Das ist doch verrückt«, sagte Bridger.
Ihr Gesicht schwebte plötzlich in seinem Blickfeld, nur Zentimeter von seinem entfernt, und es war offensichtlich, daß sie sich kein bißchen um Vernunft oder Logik oder auch nur
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