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Tallinn-Verschwörung

Tallinn-Verschwörung

Titel: Tallinn-Verschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Marni
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Schein des aufgehenden Mondes sah er, dass sie ihre Hose heruntergezogen hatte. Als er auf sie zutreten wollte, rief sie, er solle verschwinden und sie in Ruhe lassen.
    Torsten zog sich ein Stück zurück, damit Graziella sich ungestört erleichtern konnte. Obwohl er Nichtraucher war, verspürte er den Wunsch, sich eine der Zigaretten anzuzünden, die er von den überrumpelten Wächtern erbeutet hatte. Er ließ es dann doch sein und blickte zu den Sternen auf. Dabei
betete er, dass Graziella nichts Schlimmes fehlte. Notfalls musste er sie in einem sicheren Versteck zurücklassen und allein aufbrechen, um Hilfe zu holen.
    Ein leises Wimmern beendete seinen Gedankengang. Er eilte zu ihr und sah sie am Boden liegen. Mit ungelenken Bewegungen versuchte sie, ihre Hose hochzuziehen. Auf einmal stöhnte sie und wollte sie erneut abstreifen. Mit Torstens Hilfe gelang es ihr im letzten Augenblick. Er hielt sie fest, während sie von Durchfallkrämpfen gepeinigt wurde, und sprach beruhigend auf sie ein. Sie war nun zu schlecht dran, um sich daran zu stören, dass er bei ihr war, und klammerte sich wie ein kleines Äffchen an ihm fest.
    »Es tut so weh«, flüsterte sie unter Tränen.
    Torsten knirschte mit den Zähnen. »Ich wollte, ich könnte dir helfen. Wenn die Wurst daran schuld ist, die dieser Kerl gebracht hat, so hoffe ich nur, dass die ganze Bande auf den Latrinen hockt.« Er hatte allerdings selbst von der Wurst gegessen und ihm fehlte nichts. Nur sein Kopf schmerzte wieder stärker, und es fiel ihm zunehmend schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie waren beide reif für das Krankenbett, doch wenn er sich jetzt hängen ließ, waren sie in kurzer Zeit tot.
    Als Graziellas Durchfall nachließ, säuberte er sie und zog sie wieder an. Sie fror und er legte ihr noch seine Jacke um die Schultern. Viel half es nicht. Obwohl es tagsüber fast unerträglich heiß gewesen war, stürzten die Temperaturen in der sternenklaren Nacht schier ins Bodenlose.
    Torsten zog Graziella eng an sich, um sie mit seinem Körper zu wärmen, und sah zu, wie sie langsam wegdämmerte. Ein wenig hoffte er, der Schlaf würde ihr helfen, doch die Vernunft sagte ihm das Gegenteil. Während er sich verzweifelt umsah, fiel sein Blick auf ein Licht, das er bisher für einen tief stehenden Stern gehalten hatte. Da der Mond jetzt
etwas heller schien, entdeckte er dahinter jedoch die schattenhaften Konturen eines Berges, den er für den Gjalicës hielt.
    Also war es kein Stern, sondern der Lichtschein einer Lampe, der durch das Fenster eines Hauses fiel. Torsten versuchte abzuschätzen, wie weit das Gebäude entfernt sein mochte, doch in der Nacht war das fast unmöglich. Er bettete Graziella in einen Felsspalt, deckte sie mit seinem Hemd zu und machte sich mit bloßem Oberkörper auf den Weg. Er nahm beide Beretta-MPs mit, bereit, eine davon gegen etwas Essen und Medizin einzutauschen – oder zu schießen, wenn die Bewohner des Hauses sich als Feinde erweisen sollten. Zwar hatte er auch die Geldbörsen der beiden Wächter bei sich, doch er schätzte, dass in dieser Gegend eine gute Waffe gefragter war als ein paar Euroscheine.

ZWANZIG
    D er Weg zu dem Haus war steil und beschwerlich. Torsten trat in der Dunkelheit mehrmals fehl und rutschte aus. Daher kam er nicht so lautlos voran wie erhofft. Zu allem Überfluss schlug auch noch ein Hund an. Fast im selben Augenblick erlosch das Licht, und er stand ohne Orientierung da. Es dauerte einige Zeit, bis er die Umrisse des Hauses keine hundert Meter vor ihm ausmachen konnte. Vorsichtig ging er weiter und achtete darauf, nie lange im Licht des Mondes zu bleiben.
    Sein Misstrauen wuchs, als er sich dem Haus nähern konnte, ohne dass sich etwas tat. Der Hund hatte aufgehört zu bellen und ließ nur noch ab und zu ein leises Winseln hören. Nach Torstens Vermutung lagen die Bewohner des Hauses
längst mit angeschlagenen Waffen auf der Lauer, und er konnte nur hoffen, dass sie zuerst Fragen stellten und nicht gleich schossen. Es erschien ihm wie ein schlechter Witz, im einundzwanzigsten Jahrhundert ähnlich auf der Hut sein zu müssen, wie Karl May es vor beinahe einhundertfünfzig Jahren beschrieben hatte. Nur war jetzt kein Schut der Schurke, sondern ein übergeschnappter italienischer General.
    An der Haustür blieb er stehen und atmete tief durch. Jetzt kam es darauf an. Er klopfte und trat gleichzeitig einen Schritt beiseite. Es kam keine Antwort. Mit zusammengebissenen Zähnen trat er noch einmal auf die

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