Tallinn-Verschwörung
Männer, die zum Wachdienst vor der Gefangenenzelle bestimmt waren. Sein Gesicht zeigte eine aschgraue Farbe, und seine Augen flackerten.
»General, die Gefangenen sind weg!«, brachte er mit Mühe heraus.
Ghiodolfio nahm sein Zigarillo aus dem Mund und sah den Mann verwirrt an. »Was ist los?«
»Die Gefangenen sind spurlos verschwunden! Als wir eben Mario und Paolo ablösen wollten, standen die nicht
vor der Zellentür. Da diese abgeschlossen war, haben wir gedacht, die beiden wären schon zum Essen gegangen. Ich habe dann wegen des Schlüssels nach ihnen gesucht, aber sie waren weder in der Kantine noch in ihrem Quartier. Da mir das seltsam erschien, habe ich den Ersatzschlüssel geholt und aufgesperrt. Die Gefangenen waren weg. Dafür lagen Mario und Paolo in der Ecke. Der eine ist tot und der andere so schwer verletzt, dass ich nicht glaube, dass er wieder auf die Beine kommen wird.«
»Verdammt, das darf doch nicht wahr sein!« Ghiodolfio warf das Zigarillo in die Ecke und sprang auf.
Mazzetti lachte humorlos auf. »Jetzt begreife ich, weshalb Hoikens diesen deutschen MAD-Mann so fürchtet. Der Kerl ist eine Pest. Wir hätten ihn gleich erschießen sollen.«
»Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie es waren, der dem Mann eine ehrenhafte Behandlung versprochen hat!«, fuhr Ghiodolfio ihn wütend an.
Mazzetti verkniff es sich zu sagen, dass nicht er, sondern sein Sergeant dieses Versprechen gegeben hatte. »Habt ihr alle Ausgänge kontrolliert? Auch diesen einen Stollen, durch den das Mädchen beim ersten Mal entkommen ist?«
Der Unglücksbote nickte. »Das haben wir, Herr Leutnant. Aber dort können sie nicht durch sein, denn die Sprengfallen sind nicht hochgegangen.«
Ghiodolfio schlug mit der Faust auf den Tisch. »Verdammt! Dann holt die Hunde und seht zu, dass ihr der Spur der beiden folgt. Wenn ihr den Deutschen erwischt, gebt ihm eine Kugel vor den Kopf. Und die Frau gehört euch.«
»Si, Herr General!« Der Freischärler war sichtlich froh, fortzukommen, denn er rannte los, als wolle er die Entflohenen noch auf den ersten Metern einholen.
Ghiodolfio zündete sich ein neues Zigarillo an und sog gierig den Rauch in die Lungen. »Ich hätte Hoikens befehlen
sollen, diesen Kerl niederzuschießen. Jetzt haben wir den Ärger am Hals.«
»Ich gebe sofort die Anweisung, alle Wege in den Kosovo zu sperren. Diesmal setze ich auch unsere albanischen Verbündeten ein. Torsten Renk darf seine Leute nicht lebend erreichen! « Mazzetti salutierte und verließ den Raum.
An seiner Stelle stürmte Hoikens herein, in der Hand die Sphinx AT 2000 S, die er Renk abgenommen hatte. Erst als Ghiodolfio sich ärgerlich räusperte, steckte er die Waffe in den Hosenbund und sah den Italiener erschrocken an.
»Was habe ich eben gehört, General? Renk soll entkommen sein?«
»Das ist nur eine piccolezza , die meine Leute rasch bereinigen werden«, sagte Ghiodolfio abwinkend.
Hoikens bleckte die Zähne. »Verdammt noch mal! Wenn Renk zu seinen Leuten durchkommt, fliegt dieses Camp auf, und damit ist der gesamte Plan mit Tallinn im Eimer!«
Der General musterte den Deutschen mit spöttischem Blick. »Sie regen sich zu sehr auf, Capitano. Dieser Renk ist nur ein winziges Steinchen auf unserem Weg zum Endsieg. Über ihn werden wir sicher nicht stolpern.«
»Renk ist ein Teufel!«
»Dann werde ich eben einen Exorzisten bestellen. Und jetzt will ich mir die Zelle ansehen.« Ghiodolfio stand auf und verließ sein Büro, ohne sich weiter um Hoikens zu kümmern. Diesem blieb nichts anderes übrig, als hinter dem General herzulaufen. Unterwegs beschrieb er Renk und dessen Fähigkeiten in einer Weise, dass Ghiodolfio sich an den Kopf fasste. In seinen Augen war Hoikens’ Verhalten krankhaft. Ohne sich weiter um dessen hysterisches Gerede zu kümmern, ging er im Kopf die Liste der Männer durch, die er informieren musste, damit sich das Verschwinden des deutschen Militäragenten und von Monteleones Nichte nicht negativ
auf seine eigenen Pläne auswirken konnte. Die Gefahr, dass es den beiden gelang, zu entkommen, war zwar gering, doch er wollte auf alles vorbereitet sein.
SIEBZEHN
T orsten Renk entschloss sich, nach Norden abzubiegen, um Kukës zu erreichen, die einzige Siedlung in dieser Gegend, die noch als Stadt bezeichnet werden konnte. Dort hoffte er, eine Fahrtmöglichkeit nach Tiranë zu bekommen. Da Graziella unterwegs und in der Festung das eine oder andere Wort aufgeschnappt hatte, wusste er, dass die albanischen
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