Tallinn-Verschwörung
kleinen, abgelegenen Dörfern erst zurechtfinden.
Immer wieder wanderte sein Blick nach Globočica, dem Außencamp der Bundeswehr. Zunächst war es ihm als das natürliche Ziel seines Feindes erschienen. Allerdings führten nur einige steile Bergpfade und zwei von Bächen durchflossene Schluchten hinüber. Obwohl Renk verletzt war, hätte Hoikens es ihm zugetraut, doch mit der Frau an seiner Seite war er gehandikapt.
Hoikens’ Zeigefinger wanderte auf der Karte westwärts und blieb auf Kukës stehen. »Renk wird sich dorthin durchschlagen und versuchen, von da aus nach Tiranë zu kommen. Der Kerl ist schlau. Er wird sich denken, dass wir ihm den Weg in den Kosovo verlegen.«
»Kukës!« Ghiodolfio spie diesen Namen aus wie einen Fluch. Sein Blick suchte Mazzetti, der zur Berichterstattung zurückgekehrt war. »Wie viel Einfluss haben wir dort?«
»Genug, um Renk dort auf offener Straße erschießen zu können, ohne dass es jemanden kümmert.« Mazzetti war Hoikens in diesem Augenblick dankbar, dass er ihn auf eine brauchbare Fährte gesetzt hatte. Mit einem Fahrzeug würden seine Leute in wenigen Stunden dort sein, während die Flüchtigen auf dem Weg über die Berge mindestens zwei, vielleicht sogar drei Tage benötigen würden.
»Herr General, wenn Sie erlauben, fahre ich selbst in die Stadt, um Renk dort abzufangen.«
Ghiodolfio wollte schon zustimmen, als Hoikens widersprach. »Mir wäre es lieber, Sie würden einen Ihrer Unteroffiziere schicken, Major. Sie spielen in meinen Plänen für
Tallinn eine große Rolle, und ich will nicht riskieren, dass unsere Aufgabe gefährdet wird.«
Der General fuhr mit seinem Kommandostab nervös durch die Luft. »Sie vergessen, dass Sie selbst vor Renk angegeben haben, was für ein einmaliges Attentat Sie planen! Ohne diese unbedachten Worte liefen wir nicht Gefahr, dass er die Sicherheitskräfte in Tallinn warnen könnte.«
Lachend winkte Hoikens ab. »Renk hat nicht die geringste Ahnung, wie ich vorgehen will. Außerdem werden wir ihn und die Polizeikräfte dort durch unser Ablenkungsmanöver mit Renzo und seinen Leuten in die Irre führen.«
Er machte keinen Hehl daraus, dass er dem Überfall über die Ostsee kaum eine Chance einräumte. Für ihn ging es nur um sein eigenes Vorhaben, und dafür brauchte er einen Mann, der bereit war, mit ihm in das Maul eines Tigers zu steigen. »Nun, was ist, Mazzetti? Sind Sie dabei?«
Der Major warf Ghiodolfio einen fragenden Blick zu und sah diesen nicken. »Sie können auf mich zählen.«
»Dann ist es gut! Da Renk unsere Planungen nicht kennt, können wir die Vorbereitungen ohne Verzug weiterführen. General, das hier ist Ihre Aufgabe. Ich werde inzwischen mit Major Mazzetti den entscheidenden Schlag vorbereiten.«
Das klang so selbstgefällig, dass Ghiodolfio dem Deutschen am liebsten seinen Kommandostab um die Ohren geschlagen hätte. Der Sprengstoffexperte spielte sich allmählich so auf, als wäre er hier der Anführer und alle anderen nur seine Hilfskräfte. Doch was Tallinn betraf, war er auf Hoikens angewiesen, und darüber ärgerte er sich beinahe noch mehr als über die ständigen Einmischungen aus Rom. Um das große Ziel zu erreichen, durfte es nur einen geben, der die Befehle erteilte, und das waren in seinen Augen weder Fiumetti noch die Pfaffen, die sich um Don Batista und dessen Kardinal geschart hatten.
NEUNZEHN
A m Abend begann Graziella zu fiebern. Sie zitterte, und ihre Zähne klapperten so laut, dass es ein ganzes Stück weit zu hören sein musste. Torsten wusste nicht, ob sie die Krankheit schon länger in sich trug oder ob es an dem Wasser lag, das sie aus den Bächen schöpften und tranken. Dabei hatte er gehofft, in der Nacht ein ganzes Stück vorwärtszukommen. Aber so, wie Graziella aussah, war daran nicht zu denken.
»Ich habe Durst!« Graziella kauerte sich zusammen und begann zu weinen.
Noch nicht einmal nach Andreas Tod hatte Torsten sich so hilflos gefühlt wie in diesem Augenblick. Er besaß rein gar nichts, mit dem er Graziella helfen konnte, nicht einmal eine Decke, die sie so dringend gebraucht hätte, um in der Nacht nicht zu frieren.
Besorgt nahm er die leere Weinflasche, stieg zum nächsten Bach hinunter und probierte dort erst einmal einen Schluck. Das Wasser war sauber und schmeckte frisch. In der Hoffnung, dass es Graziella nicht schaden würde, füllte er die Flasche und kehrte zurück.
Als er den Lagerplatz erreichte, hockte sie mehrere Meter entfernt hinter einem Gebüsch. Im
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