Tallinn-Verschwörung
Ränge sind doch nicht mehr als ein Provisorium. Sobald die nationale Revolution gelungen ist, wird jeder von uns zum General ernannt.«
»Auch dabei gibt es Abstufungen, und ich will nicht, dass Renzo auch dann noch über mir steht.«
»Das wird er nicht – weil er dann längst tot ist.« Hoikens grinste spitzbübisch und fragte dann nach, ob der Spezialsprengstoff bereits eingetroffen sei. In dem Moment erscholl draußen Renzos Kommandostimme, mit der er seine Männer auf die Lastwagen trieb, die sie zum Flughafen bringen sollten.
ZWEI
Z wei Tage lang tat sich gar nichts in der deutschen Botschaft in Tirana. Weder kam eine offizielle Anweisung, Graziella den Italienern zu übergeben, noch der Befehl an Torsten, das nächste Flugzeug nach Deutschland zu besteigen. Er konnte nicht sagen, ob diese Stille positiv war oder nur die Ruhe vor dem Sturm darstellte. Ein Laptop aus den Beständen der Botschaft vertrieb ihm die Zeit, denn er konnte wenigstens im Internet surfen. Doch ohne Petra Waitls Spezialprogramm kam er nicht einmal an die Daten seiner eigenen Dienststelle heran, da die Passwörter in der Zwischenzeit geändert worden waren. Derjenige, der dafür verantwortlich war, hatte dabei eine erstaunliche Kreativität an den Tag gelegt, denn Torsten gelang es nicht, auch nur einen Zugangscode zu knacken.
Graziella und er hielten sich zumeist in dem Gästezimmer auf. Dabei bemühte Torsten sich zu ignorieren, dass die junge Italienerin eine durchaus attraktive Erscheinung war. Seine Trauer um Andrea war durch die Ereignisse der letzten Zeit ein wenig in den Hintergrund getreten, doch noch war er nicht bereit für eine neue Verbindung, und Graziella war es noch weniger als er. Wenn er versuchte, sich ihr zu nähern, würde er sie nur an das Geschehen in der Festung erinnern. Zwar war das ihre einzige Chance gewesen zu entkommen, aber er hatte den Eindruck, dass sie ihm jenes schreckliche Erlebnis immer noch übelnahm. Er verstand sie und ärgerte sich, weil ihm nichts Besseres eingefallen war. Er war aber froh, jemanden zu haben, mit dem er reden konnte. Graziella war intelligent und warmherzig, und so fiel es ihnen trotz aller Anspannung nicht schwer, die Stunden gemeinsam zu verbringen.
Wenn sie allerdings an ihre Zukunft dachten, verspürten
beide Angst, denn die erschien ihnen wie ein dichter, grauer Nebel, in dem sie sich verirren und in ihr Unglück laufen konnten.
Ihr einziger Lichtblick war die Tatsache, dass sie wieder anständige Kleidung trugen. Graziella hatte sich mit dem Rest des Geldes, das ihnen geblieben war, einen malvenfarbenen Rock und eine helle Bluse gekauft, während er von einem fliegenden Händler eine Jeans made in China, ein Hemd und eine Lederjacke erstanden hatte, die bauschig genug war, ein Schulterhalfter zu verbergen. Nur besaß er noch keine Waffe, die er wie gewohnt tragen konnte, sondern nur die beiden Maschinenpistolen italienischer Fertigung. Doch er hatte geschworen, sich seine Sphinx AT 2000 S Bi-Tone von Hoikens zurückzuholen.
Während Torsten in den Computer starrte, beobachtete Graziella sein Profil. Noch nie hatte sie mit einem Mann auf so engem Raum zusammengelebt, und nach ihren Erfahrungen mit Gianni hätte sie auch nicht geglaubt, eine solche Situation ertragen zu können. Der Deutsche beachtete sie jedoch kaum, und das kränkte andererseits ihre Eitelkeit. Dabei war ihr durchaus bewusst, dass sein Desinteresse ihr half, das Erlebte besser zu verkraften. Würde er mit ihr flirten, könnte es sein, dass sie ihren Widerwillen gegen körperliche Nähe auf ihn und dann wohl auch auf alle Männer übertragen würde. Die Erfahrungen in der Höhlenfestung lagen noch nicht lange genug zurück, und sie fürchtete, noch Monate oder gar Jahre zu brauchen, um sie zu überwinden.
»Wenn nicht bald etwas geschieht, drehe ich durch.«
»Was?« Erst als Torsten sie verwirrt anstarrte, begriff Graziella, dass sie ihren Gedanken laut geäußert hatte.
»Entschuldigung! Aber es ist doch wahr. Um uns herum geht die Welt in Scherben, und wir sitzen da und drehen Däumchen.«
»Wir könnten nach draußen gehen und uns ein Restaurant suchen, in dem es etwas Essbares gibt, das für unseren Geldbeutel erschwinglich ist. Ein paar kleine Scheine habe ich noch.« Torsten wollte eben den Laptop abschalten, als es an die Tür klopfte.
»Leutnant Renk! Ein Kurier hat eben ein Päckchen für Sie abgegeben.«
Ohne sich weiter um den Computer zu kümmern, sprang Torsten auf und öffnete
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