Tallinn-Verschwörung
weiter entkleidete. Mit ihrer gut gerundeten Figur sah sie aus, als wäre sie gerade einem Botticelli-Gemälde entstiegen.
Anders als in Wien loderte in Torsten eine Leidenschaft hoch, die er bisher nur bei Andrea empfunden hatte. Er griff nach Graziella und zog sie heftig an sich. Doch seine ungestüme Art erschreckte sie so, dass sie erstarrte und mit sich kämpfte, ihn nicht zurückzustoßen.
»Geh bitte vorsichtig mit mir um. Ich muss einiges vergessen, was Männer betrifft, und dabei sollst du mir helfen.«
Torsten nickte beschämt und begnügte sich zunächst damit, sie sanft zu streicheln, bis Graziella wie ein kleines Kätzchen schnurrte. Es war doch etwas anderes, die Berührung von Händen zu spüren, die wie ein sanfter Windhauch über ihren Körper glitten und diesen eher spielerisch in einen erwartungsfrohen Zustand versetzen, als auf so tierische Weise vergewaltigt zu werden wie von Gianni.
Auf ihre leise Aufforderung hin trug Torsten sie zum Bett und legte sie darauf. Als er sich über sie beugte und ihre Brustwarzen küsste, sah er wieder Andreas Bild vor sich und kämpfte mit Schuldgefühlen. Vielleicht würde sie heute noch leben, wenn er nicht länger als geplant in Afghanistan geblieben wäre. Dann machte er sich klar, dass er sich nicht in Erinnerungen verstricken durfte, sondern einen klaren Kopf behalten musste, wenn er Erfolg haben und Andrea rächen wollte. Dazu aber brauchte er Graziella nicht weniger als sie ihn. Was Hoikens betraf, konnte er sich voll und ganz auf Petra verlassen. Wenn es eine Chance gab, den Kerl auszuräuchern, würde ihr es gelingen. Zu dieser Überzeugung gekommen,
schob er alles beiseite, was ihn belastete, und bemühte sich, Graziella den Glauben an den männlichen Teil der Menschheit wiederzugeben.
ACHTZEHN
H ans Joachim Hoikens hatte sich an jenem Abend mit der Botschaftsangestellten Madalena im R.I.F.F. getroffen. Es war nicht ihre einzige Begegnung geblieben, denn die junge Frau war außerordentlich aufregend. Sie waren bereits in der ersten Nacht im Bett gelandet, und trotz seiner vorherigen Zweifel hatte Hoikens es nicht bereut.
Madalenas Onkel zählte zu den engsten Vertrauten des Faschistenführers Fiumetti, überdies war sie mit Ghiodolfio bekannt und ebenso ehrgeizig wie Hoikens selbst. Auch ihr schwebte die Idee eines neuen Römischen Imperiums vor, in dem Deutschland eine wichtige Rolle spielen sollte. Hoikens gefiel ihr, und sie stellte sich vor, wie es wäre, wenn er zum Generalgouverneur dieses Landes aufsteigen und sie selbst seine First Lady würde.
Da Hoikens seinen einstigen Gönner Feiling längst für einen unfähigen Narren hielt, schwelgte er umso lieber in der Vorstellung, die die junge Frau vor ihm ausbreitete. Allerdings vergaß er darüber sein Vorhaben nicht und ließ sich von Madalena, die das Vertrauen ihres Vorgesetzten schmählich missbrauchte, über die EU-Versammlung auf dem Laufenden halten.
An diesem Nachmittag überreichte sie ihm einige Kopien, die sie heimlich angefertigt hatte. »Hier, sieh! Heute Abend werden sich alle Politiker in Schloss Kadriorg versammeln und den Aufnahmevertrag mit den Türken unterzeichnen.«
Hoikens warf einen Blick auf die Papiere und lachte leise auf. »Nicht, wenn ich es verhindern kann, meine Liebe. Eigentlich wollte ich ja bei dir bleiben und mit dir reden.«
»Nur reden?«, fragte Madalena anzüglich.
Hoikens lachte erneut. »Es hätte ruhig etwas mehr werden können. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Sobald die Sache erledigt ist, komme ich zu dir. Es wäre ein gutes Alibi, findest du nicht?«
»Es kommt darauf an, wie gut du deine Sache machst. Stimmt es, dass Mazzetti und du Ministerpräsident Ecconi erschießen wollt?«
»Nur den italienischen Ministerpräsidenten? Das wäre etwas wenig!« Hoikens amüsierte sich, als Madalena nach seinen Worten überrascht aufkeuchte, und blickte dann auf seine Uhr.
»Es ist spät geworden. Ich muss jetzt gehen.«
»Küss mich noch einmal!«
Hoikens kam ihrem Wunsch nach und verließ kurz darauf die italienische Botschaft. Ein Taxifahrer brachte ihn nach Kitseküla. Zufrieden dachte er darüber nach, wie klug es gewesen war, sich in dieser Vorstadt einzunisten. Es gab keinerlei Kontrollen, und der einzige Polizeiwagen, den er sah, rollte in die Gegenrichtung.
Dem Taxifahrer war offensichtlich nicht wohl dabei, in das übel beleumundete Viertel fahren zu müssen, und er bat Hoikens, ihm noch während des Fahrens das Geld zu geben und
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