Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
und Stille senkte sich über die Halle. Der wunderschöne, neue Treppenpfosten am Fuß der Stufen entzweite sich mit einem lauten Krachen, das alle zusammenzucken ließ, dann war Bruder verschwunden.
Als sich Tobin wieder umdrehte, musterten ihn beide Zauberer, als wüssten sie, was er getan hatte. Iya starrte ihn noch einen Augenblick länger an, dann sagte sie etwas zu Arkoniel, zu leise, als dass Tobin es verstehen konnte.
Ki stand auf und streckte Tobin eine Hand entgegen. »Bist du verletzt, Prinz Tobin?« Auf seiner Wange erblühte bereits eine Brandblase.
»Nein.«
Auch Ki starrte Tobin an, aber er schien nicht wütend zu sein. »Das war also dein Geist?«
»Manchmal macht er so etwas. Es tut mir leid.« Tobin wollte noch mehr hinzufügen, etwas, dass dafür sorgen würde, dass jenes herzliche, erstaunte Lächeln auf ihn gerichtet blieb. »Ich glaube nicht, dass er dich noch einmal verletzen wird.«
»Wir haben keine Gäste erwartet, gnädige Frau«, sagte Mynir, als wäre nichts geschehen. »Ich hoffe, Ihr denkt nicht schlecht von unserem Haus. Hätten wir Bescheid gewusst, wir hätten ein Festmahl vorbereitet.«
Iya tätschelte dem alten Verwalter den Arm. »Die Gastfreundschaft des Herzogs ist uns keineswegs fremd. Was immer ihr habt, wird uns vollauf genügen. Führt immer noch Catilan die Küche?«
Sie alle plauderten miteinander, als wären sie alte Freunde, die sich schon lange kannten. Tobin gefiel dies überhaupt nicht. Seit der Ankunft des ersten Zauberers fühlte sich nichts mehr richtig an. Nun waren zwei Magier hier, und Bruder hasste Iya noch mehr als Arkoniel, das hatte Tobin während des kurzen Angriffs gespürt.
Mittlerweile war er überzeugt davon, dass die Zauberin die ›sie‹ aus seinen Träumen verkörperte, die Bruder dazu gebracht hatte, Blut zu weinen. Andererseits hatte Nari behauptet, Iya sei eine Freundin seines Vaters, und behandelte sie wie einen Ehrengast. Tobin geriet in Versuchung, Bruder zurückzurufen, um zu sehen, was geschehen würde.
Bevor er es jedoch tun konnte, bemerkte er, dass der andere Junge ihn beobachtete. Rasch wandte Ki den Blick ab; Tobin tat es ihm gleich und fühlte sich verlegen, ohne zu wissen, weshalb.
Der Verwalter bestand darauf, dass Köchin das Abendmahl in der Halle am Ehrentisch auftrug, obwohl Tobins Vater nicht zu Hause weilte. Den neuen Baldachin hatte Bruder umgeworfen, doch das wurde bald behoben. Tobin musste den Platz seines Vaters einnehmen und zwischen Iya und dem neuen Gefährten sitzen. Tharin schnitt das Fleisch für sie auf und bediente sie. Tobin wollte sich mit Ki unterhalten, damit sich der Junge ungezwungen fühlte, musste jedoch feststellen, dass seine Zunge wie verschnürt war. Auch Ki schwieg, und Tobin sah, dass er bei jedem der aufeinanderfolgenden Gänge verstohlene Blicke in die Halle und auf ihn warf. Während der Mahlzeit hielt Tobin ständig mit einem Auge Ausschau nach Bruder, doch der Geist befolgte seinen Befehl.
Die Erwachsenen schienen sein Unbehagen nicht zu bemerken und plauderten miteinander. Nari, Arkoniel und Iya redeten über Menschen, die Tobin seine Amme noch nie erwähnen gehört hatte; er verspürte einen Anflug von Eifersucht. Sobald der letzte Obstkuchen abgeräumt worden war, entschuldigte er sich in der Absicht, sich nach oben zurückzuziehen. Auch Ki erhob sich und hatte eindeutig vor, ihm zu folgen. Vermutlich wurde dies von Gefährten erwartet. Tobin wechselte die Richtung und ging stattdessen hinaus auf den vorderen Hof. Ki trottete hinter ihm drein.
Ein rötlicher Herbstmond erklomm den Himmel, hell genug, um Schatten auf den Hof zu werfen.
Allein mit diesem Fremden fühlte sich Tobin unbeholfener denn je zuvor. Er wünschte, in der Halle geblieben zu sein, wusste aber, dass es dumm aussehen würde, schon so bald wieder zurückzukehren, während Ki ihm folgte wie ein Entenküken seiner Mutter.
Eine Weile standen sie schweigend da. Dann schaute Ki zur Feste auf und meinte: »Dein Haus ist sehr prächtig, Prinz Tobin.«
»Danke. Wie sieht deines aus?«
»Oh, etwa wie eure Truppenunterkünfte dort drüben.«
Wieder stachen ihm die ausgefransten Säume des Kittels des Jungen in die Augen. »Ist dein Vater ein armer Mann?« Die Worte hatten seinen Mund verlassen, bevor ihm der Gedanke kam, dass dies als Beleidigung aufgefasst werden könnte.
Ki jedoch zuckte nur mit den Schultern. »Wir sind jedenfalls nicht reich, soviel steht fest. Meine Ururgroßmutter war mit einem Verwandten
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