Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
den Bauch und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie verlegen er war. »Du bist viel besser als ich.«
Ki grinste und klopfte ihm auf die Schulter. »Na ja, ich hatte all diese Brüder und Schwestern, um mir etwas beizubringen, und obendrein noch Vater. Du solltest mich mal nach einer Übung mit ihnen sehen! Da bin ich am ganzen Leib voll blauer Flecken. Meine Schwester Cytra hat mir letztes Jahr die Lippe weit aufgerissen. Ich habe gebrüllt wie ein aufgeschlitzter Frischling, als meine Stiefmutter sie mir zusammengenäht hat. Schau, auf der linken Seite kann man immer noch die Narbe sehen.«
Tobin beugte sich dicht zu ihm und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen die schmale, weiße Linie, die sich quer über Kis Unterlippe zog.
»Die ist aber auch ganz ordentlich.« Ki berührte mit dem Daumen die Narbe an Tobins Kinn. »Sie sieht genau wie Illiors Mond aus. Ich wette, dadurch bringt sie Glück. Woher hast du sie?«
Tobin zuckte zurück. »Ich – ich bin gestürzt.«
Er wünschte, Ki hätte Recht damit, dass die Narbe Glück brachte, aber er war überzeugt davon, dass sie es nicht tat. Allein, indem er an sie dachte, fühlte er sich schlecht.
»Na, wie auch immer, ärgere dich nicht«, meinte Ki. »Du bist bloß nicht an meine Art zu kämpfen gewöhnt. Ich werde sie dir lernen – äh, beibringen, wenn du möchtest. Ich mache auch langsam, versprochen.« Er berührte sich mit seinem Schwert an der Stirn und schenkte Tobin ein Grinsen, bei dem die vorstehenden Zähne deutlich zur Geltung kamen. »Wollen wir es erneut versuchen, mein Prinz?«
Das schlechte Gefühl verflog, als Ki und er abermals begannen. Dieser Junge war anders als jeder, den Tobin bisher kennen gelernt hatte, abgesehen vielleicht von Tharin. Obwohl er älter war und offensichtlich mehr von der Welt wusste als Tobin, verbarg sich weder hinter seinen Augen noch hinter seinem Lächeln etwas, das nicht zu dem passte, was er sagte. Tobin fühlte sich äußerst eigenartig, wenn Ki ihn angrinste, aber es war ein angenehmes Gefühl ähnlich dem, das er in seinem Traum empfunden hatte, in dem Bruder lebendig gewesen war.
Und Ki hielt Wort. Diesmal ging er es langsamer an und versuchte zu erklären, was er tat und wie sich Tobin verteidigen konnte. Auf diese Weise erkannte Tobin, dass er dieselben Ausfallstreiche und Abwehrzüge einsetzte, die Tharin ihm beigebracht hatte.
Sie fingen langsam an und arbeiteten schrittweise die verschiedenen Stellungen durch, doch schnell stellte Tobin fest, dass er sich dennoch anstrengen musste, um seine Verteidigung zu wahren. Ihre Holzklingen prallten klappernd wie Reiherschnäbel aufeinander, ihre Schatten hüpften und zuckten im Mondlicht wie Motten hin und her.
Ki war eindeutig der angriffslustigere Kämpfer, doch es mangelte ihm an der Beherrschung, die Tobin von Tharin eingetrichtert worden war. Tobin duckte sich unter einem wilden Schwung hinweg, stieß vorwärts und traf Ki quer über die Rippen. Der ältere Junge ließ das Schwert fallen und brach zu einem ungelenken Haufen zu seinen Füßen zusammen.
»Ich bin tot, Hoheit!«, keuchte er und tat so, als hielte er seine Gedärme zusammen. »Schickt meine Asche nach Hause zu meinem Vater!«
Auch so etwas hatte Tobin noch nie erlebt. Es mutete so widersinnig an, dass er lachen musste, anfangs zögerlich und vor Überraschung, dann lauter und ausgelassener, weil es sich gut anfühlte, als Ki darin mit einstimmte.
»Pfeif auf deine Asche!« Tobin kicherte; er fühlte sich verrückt und schalkhaft.
Das brachte Ki erneut zum Lachen, und ihre Stimmen hallten zusammen von den Hofmauern wider. Ki schnitt Grimassen, verdrehte die Augen und ließ die Zunge seitlich aus dem Mund baumeln. Tobin lachte so heftig, dass seine Seite schmerzte und seine Augen tränten.
»Bei den Vieren, was für ein Radau!«
Tobin drehte sich um und stellte fest, dass Nari und Tharin sie vom Tor aus beobachteten.
»Du hast ihn doch nicht verletzt, Tobin, oder?«, fragte Nari.
Tharin kicherte. »Was meinst du, Ki? Wirst du es überleben?«
Ki rappelte sich auf die Beine und verbeugte sich. »Ja, Sir Tharin.«
»Kommt mit, ihr beiden«, forderte Nari sie auf und scheuchte sie auf die Tür zu. »Ki hat einen langen Ritt hinter sich, und dir ist es heute nicht gut gegangen, Tobin. Es ist für euch beide Zeit, zu Bett zu gehen.«
Tobin unterdrückte den plötzlichen Drang zu brüllen: ›Pfeif auf dein Bett!‹ Stattdessen begnügte er sich damit, ein Grinsen mit Ki
Weitere Kostenlose Bücher