Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
nicht gereicht hatte, um ihnen das Genick zu brechen. An Händen und Füßen gefesselt, wanden und krümmten sie sich wild.
Kämpfen sie um ihr Leben oder um den Tod?, fragte sich Arkoniel entsetzt. Auf abartige Weise erinnerten sie ihn an einen Schmetterling, den er einst dabei beobachtet hatte, wie er sich aus seiner Winterpuppe hervorgearbeitet hatte – an einem Stück Seide von einem Ast baumelnd, hatte er in der glänzenden, braunen Hülle gezuckt und sich gewunden. Diese beiden Gestalten sahen ähnlich aus, allerdings würde ihr Kampf nicht mit Flügeln und Farben enden.
Schließlich erfassten einige Soldaten ihre Beine und zogen daran ruckartig nach unten, um ihnen das Genick zu brechen. Vereinzelter Jubel erhob sich unter der Menge, aber die meisten Zuschauer waren verstummt.
Arkoniel, der bereits Übelkeit verspürte, umklammerte krampfhaft den Fensterrahmen, doch es sollte noch Schlimmeres folgen.
Die Zauberer hatten die ganze Zeit reglos in der Nähe der Holzgestelle ausgeharrt. Sobald der letzte der Gehängten erschlafft war, verteilten sie sich zu einer Linie über die Plattform und offenbarten die beiden nackten, knienden Männer, die sie in ihrem Kreis abgeschirmt hatten. Der eine war ein Greis mit weißem Haar, der andere jung und dunkel. Beide trugen dicke Eisenfesseln um den Hals und die Handgelenke.
Mit verkniffenen Augen spähte Arkoniel eingehender auf die Spürhunde hinab und stieß ein bestürztes Japsen aus. Die Gesichter konnte er zwar auf die Entfernung nicht erkennen, sehr wohl jedoch den gegabelten roten Bart des Mannes, der den Rahmen am nächsten stand.
»Das ist Niryn persönlich!«
»Ja. Mir war nicht klar, dass es so viele sein würden, aber es erscheint einleuchtend … Diese Gefangenen sind Zauberer. Siehst du die Eisenfesseln? Sehr mächtige Magie ist darin enthalten. Sie umwölkt den Verstand.«
Soldaten zerrten die Gefangenen auf die Beine und banden sie ausgestreckt mit silbernen Kabeln an die Gestelle. Dabei erkannte Arkoniel die verschlungenen Bannmuster, die bei beiden Männern die Brust bedeckten. Bevor er Iya fragen konnte, was sie bedeuteten, stieß sie ein Stöhnen aus und umklammerte seine Hand.
Nachdem die Opfer gesichert waren, stellten sich die Zauberer zu beiden Seiten in zwei Reihen auf und begannen mit ihren Beschwörungen. Der alte Mann heftete den Blick stoisch an den Himmel, doch sein Gefährte geriet in Panik, kreischte und flehte die Menge und Illior an, ihn zu retten.
»Können wir denn nichts tun, um …« Arkoniel taumelte, als ein blendender Schmerz hinter seinen Augen einfuhr. »Was ist das? Spürst du es auch?«
»Das ist ein Schutzzauber«, flüsterte Iya und drückte sich eine Hand gegen die Stirn. »Und eine Warnung an alle von uns, die vielleicht zusehen.«
Mittlerweile war die Menge in völliges Schweigen verfallen. Arkoniel hörte, wie die Sprechgesänge lauter und lauter wurden. Die geleierten Worte blieben unverständlich, aber das Pochen in seinem Kopf wurde stärker und breitete sich auf seine Brust und seine Arme aus, bis sich sein Herz anfühlte, als würde es zwischen zwei mächtigen Steinen zerdrückt.
Langsam sank er vor dem Fenster auf die Knie, konnte den Blick jedoch nicht abwenden.
Beide Gefangene begannen, heftig zu zittern, dann kreischten sie, als sich an ihrem Fleisch weiße Flammen entzündeten und sie verschlangen. Rauch gab es nicht. Das weiße Feuer brannte so lodernd, dass an den Gestel len binnen weniger Augenblicke nur noch verschrumpelte, geschwärzte Hände und Füße zurückblieben, die von den Silberfesseln baumelten. Iya flüsterte heiser neben Arkoniel, und er schloss sich ihrem Gebet für die Toten an.
Als alles vorüber war, sackte Iya auf das schmale Bett und wob mit zittrigen Fingern einen Bann der Stille um sie beide. Arkoniel blieb unter dem Fenster, konnte sich nicht bewegen. Eine lange Weile sprachen sie beide kein Wort.
Schließlich flüsterte Iya: »Wir hätten nichts tun können. Gar nichts. Jetzt erkenne ich ihre Macht. Sie haben sich zusammengerottet und ihre Stärke vereint. Der Rest von uns ist so versprengt …«
»Daran liegt es, und am Erlass des Königs!«, spie Arkoniel hervor. »Er ist doch der Sohn seiner wahnsinnigen Mutter.«
»Er ist schlimmer. Sie war wahnsinnig, er hingegen ist ruchlos und klug genug, Zauberer gegen ihresgleichen zu wenden.«
Angst ließ sie bis zum Einbruch der Nacht in dem winzigen Zimmer ausharren, bis der Herbergswirt sie hinausscheuchte, um Platz für
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