Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
ein weiterer Zauberer ihn knebeln konnte.
»Der Lichtträger lässt sich nicht verhöhnen!«, brachte der Verurteilte noch hervor, als man ihm eine Schleife des Silberseils zwischen die Zähne zwängte. Auch danach kämpfte er weiter. Tobin starrte so gebannt auf ihn, dass er nicht bemerkte, wie sich der König bewegte und das Schwert Ghërilains in den Bauch des Mannes rammte.
»Nein!«, stieß Tobin flüsternd hervor, entsetzt darüber, mit ansehen zu müssen, wie jene ehrenvolle Klinge mit dem Blut eines Gefangenen besudelt wurde. Der Verurteilte schlug noch einmal um sich, dann sackte er kraftlos vorwärts, als der König das Schwert zurückzog.
Die Zauberer hielten den Mann aufrecht, und Niryn presste ihm die Hand auf die Stirn. Der Gefangene lebte noch und spuckte Niryn an, wodurch er einen weiteren roten Fleck auf den weißen Roben hinterließ. Niryn schenkte der Beleidigung keine Beachtung und begann stattdessen mit einem leisen Sprechgesang.
Die Augen des Gefangenen rollten in den Höhlen nach oben, und die Beine knickten unter ihm ein. Danach war es ein Leichtes, ihn an den Rahmen zu binden.
»Fahrt fort«, befahl Erius, während er ruhig die Klinge sauberwischte.
Nachdem die Ordnung wiederhergestellt war, bildeten die Zauberer einen Halbkreis um die Rahmen und begannen mit einem neuen Sprechgesang. Er wurde lauter und lauter, bis weiße Flammen, heller als alles, was Tobin je gesehen hatte, auf den Leibern der Verurteilten aufzüngelten. Es gab keinen Rauch, auch der Gestank blieb aus, der manchmal von den Verbrennungsstätten außerhalb der Mauern in die Stadt wehte. Die verurteilten Zauberer kämpften einige Augenblicke lang, dann wurden sie rasch und so vollständig verzehrt wie die Flügel einer Motte in einer Kerzenflamme. Binnen weniger Herzschläge blieben von ihnen nur noch die verkohlten Hände und Füße übrig, die noch in den Silberfesseln an den Ecken der versengten Holzrahmen hingen.
Die gleißende Helligkeit ließ dunkle Punkte in Tobins Sicht zurück. Vergeblich versuchte er, sie wegzublinzeln, während er auf den linken Rahmen starrte und sich an den erkennenden Blick erinnerte, den er im schmerzverzerrten Antlitz des Mannes erspäht hatte. Dann neigte sich die Welt um ihn. Der Platz, die johlende Menge, die mitleiderregenden, schrumpligen Überreste an den Rahmen, alles verschwand, und stattdessen sah Tobin eine schimmernde, goldene Stadt auf einem hohen Felsen über dem Meer.
Niemandem, nicht einmal Niryn, fiel der winzige, verkohlte Kiesel auf, der zwischen der Asche der Zauberer lag.
Zwanzig Meilen entfernt, unter demselben gelben Mond, legte Iya den Kopf auf den Tisch einer Schänke und sog scharf die Luft ein, als weißes Feuer ihre Sicht erfüllte wie an jenem Tag in Ero. Darin erkannte sie ein weiteres schmerzverzerrtes Gesicht, dessen Schicksal besiegelt wurde. Es war Kiriar. Kiriar von Auenfurt. Sie hatte ihm an jenem Tag im Wurmloch einen Talisman gegeben.
Die Schmerzen verflogen rasch, doch sie blieb zutiefst erschüttert zurück. »O Illior, nicht er«, stöhnte sie. Hatten sie ihn gefoltert und von der kleinen Gruppe von Zauberern erfahren, die sich unter ihren Füßen versteckte?
Allmählich nahm sie den Lärm der Schänke um sich wieder wahr.
»Ihr habt Euch verletzt.« Es war eine Drysierin. Iya war sie schon zuvor aufgefallen, als sie vor dem Schrein Dorfkinder geheilt hatte. »Lasst mich mal sehen, altes Mütterchen.«
Iya blickte hinab. Der Weinbecher aus Ton, aus dem sie getrunken hatte, war in ihrer Hand zerborsten. Die Scherben hatten ihr die Handfläche aufgeschnitten und die verblasste Narbe gekreuzt, die Bruder ihr in der Nacht zugefügt hatte, in der sie Ki in die Feste brachte. Aus dem geschwollenen Fleisch unterhalb des Daumens ragte noch ein Splitter. Zu schwach, um etwas zu erwidern, ließ sie die Drysierin die Wunde waschen und verbinden.
Als die Frau fertig war, legte sie eine Hand auf Iyas Kopf und sandte einen kühlen, lindernden Kraftstoß durch sie. Iya roch frische, grüne Triebe und Blätter. Der süße Geschmack von Quellwasser füllte ihren trockenen Mund.
»Ihr seid herzlich eingeladen, heute Nacht unter meinem Dach zu schlafen, Mütterchen.«
»Vielen Dank, gute Frau.« Es schien besser, die Nacht an Dalnas Herd zu verbringen als hier, wo zu viele neugierige Müßiggänger immer noch die verrückte Alte beobachteten, um zu sehen, welche Torheit sie als Nächstes anstellen würde. Ebenso fühlte es sich ratsam an, bei einer
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