Tamir Triad 03 - Die prophezeite Königin
Tamír jenes Gefühl tiefer Verbundenheit und Herzlichkeit. Plötzlich geriet die Luft rings um sie in Bewegung, und aus dem Augenwinkel erspähte sie die matten, nebelartigen Schemen von Geistern. Sie vermochte nicht zu sagen, wer sie waren, aber ihre Gegenwart fühlte sich tröstlich an, ganz anders als Bruders kalte Wut. Wer immer sie sein mochten, sie freuten sich darüber, dass Tamír gekommen war.
Einen Becher gab es nicht. Sie kniete nieder, wusch sich die Hände und schöpfte anschließend eine Handvoll eisigen Wassers. Es schmeckte süßlich und war so kalt, dass es ihre Finger und Zähne zum Schmerzen brachte.
»Dürfen die anderen auch etwas haben?«, fragte sie.
Darüber lachten die Priester. »Selbstverständlich«, antwortete Ralinus. »Die Gastfreundschaft des Lichtträgers kennt weder Rang noch Grenzen.«
Tamír trat zurück, während ihre Freunde und Garde einen rituellen Schluck tranken.
»Das ist gut!«, rief Hylia, die sich hingekniet hatte, um zusammen mit Lorin und Tyrien zu trinken.
Iya kam als Letzte an die Reihe. Sie bewegte sich nach dem langen Ritt ein wenig steif, und Arkoniel reichte ihr den Arm dar, um ihr danach wieder auf die Beine zu helfen. Die alte Frau drückte eine Hand erst gegen die Stele, dann gegen ihr Herz.
»Die erste Ghërilain wurde die Königin des Orakels genannt«, sagte sie, und Tamír erblickte erstaunt Tränen in ihren Augen. »Du bist die zweite Königin, die hier vorhergesagt wurde.«
»Dennoch habt Ihr den Namen einer anderen Königin angenommen, obendrein noch den einer geringeren«, bemerkte Ralinus. »Ich habe mich schon gefragt, weshalb, Majestät.«
»Die erste Tamír erschien mir in Ero und bot mir ihr Schwert dar. Sie wurde von ihrem Bruder gemeuchelt, genau wie so viele meiner weiblichen Angehörigen von meinem Onkel ermordet wurden, und zu Zeiten meines Onkels war ihr Name so gut wie vergessen. Ich habe ihn angenommen, um ihr Andenken zu ehren.« Sie starrte auf die silbrigen Wellen der Quelle hinab. »Und um mich und andere daran zu erinnern, dass sich eine solche Gewissenlosigkeit im Namen Skalas nie wiederholen darf.«
»Ein würdiger Gedanke, Königin Tamír«, sprach eine Männerstimme mit starkem Akzent aus den Schatten jenseits des Platzes.
Sie schaute auf und erblickte vier Männer und eine Frau, die sich näherten. Durch den Sen’gai und den feinen Schmuck an Hals, Ohren und Handgelenken erkannte Tamír sie auf Anhieb als Aurënfaie. Alle hatten langes, dunkles Haar und helle Augen. Drei der Männer trugen weich aussehende Wämser aus gewobener, weißer Wolle über Wildlederhosen und niedrigen Stiefeln. Die Frau war ähnlich gekleidet, allerdings reichte ihre Jacke bis über die Knie und war zu beiden Seiten bis hinauf zum Gürtel geschlitzt. Der Fünfte, ein älterer Mann, trug eine lange, schwarze Robe. Sein gefranster, roter und schwarzer Sen’gai, seine Gesichtsmale und die schweren Silberohrringe, die an seinen Hals baumelten, kennzeichneten ihn als Khatme. Die Frau und einer der jüngeren Männer trugen die hellen Rot- und Gelbtöne, die Tamír als die Farben der Gedre erkannte. Das dunkle Grün der übrigen musste für einen anderen Klan stehen.
Als sie ins hellere Licht an der Stele traten, stieß Ki einen freudigen Jubelschrei aus und rannte los, um den jüngeren Gedre zu umarmen.
»Arengil!«, rief er und hob ihren verlorenen Freund vor Aufregung von den Füßen. »Du hast den Weg zurück zu uns gefunden!«
»Das habe ich doch versprochen, oder?« Arengil lachte, kämpfe sich auf den Boden zurück und fasste Ki an den Schultern. Mittlerweile war Ki einen halben Kopf größer; als Arengil nach Hause geschickt worden war, hatten sie sich noch auf selber Höhe in die Augen gesehen. »Du bist kräftiger geworden und hast einen Bart.« Er schüttelte den Kopf, dann erblickte er Una unter den Gefährten. »Beim Licht, ist das, wer ich glaube?«
Sie grinste. »Hallo. Tut mir leid, dass ich dich an jenem Tag damals in solche Schwierigkeiten gebracht habe. Ich hoffe, dein Vater war nicht allzu wütend.«
Seine Tante zog darob eine Augenbraue hoch. »War er, aber wie du siehst, hat es Arengil überlebt.«
Tamír trat zögerlich vor und fragte sich, wie er sich angesichts der Veränderung ihres Erscheinungsbilds verhalten würde. Arengils Lächeln wurde nur umso breiter, als er die Entfernung zwischen ihnen überwand und sie umarmte.
»Beim Licht! Ich habe nicht an der Seherin gezweifelt, aber ich wusste auch nicht, was ich
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