Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
aus, nicht wahr?« bemerkte Talen.
»Es gibt gewisse Ähnlichkeiten«, bestätigte Oscagne. »Cynesga ist ein Wüstengebiet wie Rendor, und es gibt nicht sehr viele Arten von Kleidung, die für ein solches Klima geeignet sind.«
Der Tote trug ein weites Gewand und hatte einen langen Stoffstreifen um den Kopf gewickelt, der als Sonnenschutz bis über den Nacken hinunterhing.
»Sie sind keine guten Kämpfer«, berichtete Kring. »Sie gerieten in Panik, als wir sie angriffen.«
»Was ist mit dem anderen, Exzellenz?« erkundigte sich Tynian. »Die in Rüstung waren sehr gute Kämpfer.«
Der tamulische Botschafter wirkte beunruhigt. »Der ist irgend jemandes Phantasiegestalt«, antwortete er schließlich.
»Das kann ich mir nicht vorstellen, Exzellenz«, wandte Bevier ein. »Die Krieger, die uns in Eosien angriffen, waren aus der Vergangenheit geholt worden. Ich gebe zu, sie waren ziemlich exotisch, aber alle hatten einmal wirklich gelebt. Alles, was wir hier gesehen haben, deutet darauf hin, daß wir es mit dem gleichen Phänomen zu tun hatten. Dieser Kerl ist ganz bestimmt kein Phantasiekrieger. Er hat in früherer Zeit gelebt, und was er trägt, war seine übliche Kleidung.«
»Unmöglich!« widersprach Oscagne überzeugt.
»Nur um der Spekulation willen, Oscagne«, sagte Emban, »lassen wir jetzt das Wort ›unmöglich‹ für eine Weile außer acht. Wer, würdet Ihr sagen, könnte er gewesen sein?«
»Es ist eine sehr alte Sage«, antwortete Oscagne noch immer mit besorgtem Gesicht. »Es wird berichtet, daß vor sehr, sehr langer Zeit Cynesga von den sogenannten Cyrgai bewohnt gewesen sein soll. Die heutigen Cynesganer sind angeblich ihre degenerierten Nachkommen.«
»Sie sehen aus, als kämen sie aus zwei verschiedenen Teilen der Welt«, meinte Kalten.
»Cyrga, die Stadt der Cyrgai, befand sich angeblich im zentralen Hochland von Cynesga«, erklärte Oscagne. »Es liegt höher als die Wüste rundum, und der Sage nach hat es dort einen von Quellen gespeisten See gegeben. Das Klima im Hochland war ganz anders als in der Wüste. Die Cyrgai hätten demnach keinen Sonnenschutz gebraucht wie ihre entarteten Nachkommen. Ich könnte mir vorstellen, daß auch Rang und Status eine Rolle spielten. Wenn man den Charakter der Cyrgai bedenkt, hätten sie zweifellos nicht zugelassen, daß jemand Cyrgaikleidung trug, den sie nicht als ebenbürtig betrachteten.«
»Dann haben sie also zur selben Zeit gelebt?« fragte Tynian.
»Was das betrifft, sind die Legenden ziemlich unklar, Ritter Tynian. Offenbar gab es tatsächlich eine Zeitspanne, zu der sowohl Cyrgai wie Cynesganer lebten. Die Cyrgai waren zweifellos die Herren.« Er verzog das Gesicht. »Warum nehme ich plötzlich eine Legende so ernst?«
»Weil es eine ziemlich greifbare Legende ist.« Emban stupste den mumifizierten Cyrgai mit dem Fuß an. »Ich nehme an, daß diese Burschen einen besonderen Ruf hatten?«
»O ja«, antwortete Oscagne und schüttelte sich. »Sie hatten eine abscheuliche Kultur – grausam und kriegerisch. Sie hielten sich von anderen Völkern fern, um nicht von ihnen verseucht zu werden, wie sie es nannten. Angeblich waren sie von rassischer Reinheit besessen und haben jegliche neuen Ideen bekämpft.«
»Das ist eine sinnlose Art von Besessenheit«, bemerkte Tynian. »Bei jedem Handel mit Außenstehenden kommt man mit neuen Ideen in Berührung.«
»Der Sage nach waren sie sich dessen bewußt, Herr Ritter. Handel war verboten.«
»Überhaupt kein Handel?« fragte Kalten ungläubig.
»Gar keinen. Angeblich waren die Cyrgai völlig autark. In ihrer Gesellschaft war sogar der Besitz von Gold und Silber verboten.«
»Verrückt!« entfuhr es Stragen. »Hatten sie gar kein Geld?«
»Eisenbarren. Schwere Barren, vermute ich, um jedweden Handel zu unterbinden. Die Cyrgai lebten nur für den Krieg. Alle Männer waren in der Armee, und die Frauen waren allein dazu bestimmt, Kinder zu kriegen und großzuziehen. Wenn Cyrgai zu alt wurden, um zu kämpfen oder Kinder zu gebären, erwartete man von ihnen, daß sie sich selbst töteten. Der Sage nach waren sie die besten Krieger, welche die Welt gesehen hat.«
»Die Sage übertreibt, Oscagne«, versicherte Engessa ihm. »Ich selbst habe fünf von ihnen getötet. Sie haben zuviel Zeit damit verbracht, mit ihren Muskeln zu protzen und ihre Waffen zur Schau zu stellen, statt zu kämpfen.«
»Ihr Leben war sehr rituell, Atan Engessa«, murmelte Oscagne.
»Wer war der Vermummte?« fragte Kalten. »Ich
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