Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
gefährlich erweisen.«
»Wir werden nicht im Dunkeln angreifen, Khalad«, versicherte Sperber ihm. »Ich habe ein paar Vorbereitungen getroffen.«
Engessa schlich durch eine Öffnung in der Palisade, um sich seinen Kriegern im Wald anzuschließen.
»Bilde ich es mir nur ein, oder habt ihr auch das Gefühl, daß wir es mit jemandem zu tun haben, der nicht besonders aufgeweckt ist?« fragte Tynian. »Er scheint keine Ahnung von moderner Kriegführung und moderner Technik zu haben.«
»Ich glaube, das Wort, das dir auf der Zunge liegt, ist ›dumm‹, Tynian.« Kalten grinste.
»Nein, eigentlich nicht.« Tynian runzelte die Stirn. »Es war zu dunkel, als daß ich von der Kuppe viel hätte sehen können, aber es hatte den Anschein, als würde der Feind seine Truppen zu einer Phalanx formieren. Das hat im Westen seit über tausend Jahren niemand mehr getan.«
»Das wäre gegen berittene Krieger auch nicht sehr wirkungsvoll, nicht wahr?« fragte Kalten.
»Es kommt darauf an, wie lang die Speere und wie groß die überlappenden Schilde sind. Eine Phalanx könnte uns durchaus zu schaffen machen.«
»Berit«, sagte Sperber, »lauf hinauf zur Kuppe und bitte Bevier, seine Katapulte ein wenig zu drehen. Er soll die feindliche Formation zertrümmern.«
»Wird gemacht.« Der junge Ritter wandte sich um und kletterte den Hang wieder hinauf.
»Wenn der Feind tatsächlich eine Phalanx formiert hat«, fuhr Tynian fort, »bedeutet es, daß er noch nie berittene Truppen als Gegner hatte und offenes Gelände gewohnt ist.«
Beviers Katapulte begannen Felsbrocken auf die schattenhafte Formation am Ende des geräumten Zugangs zu schleudern.
»Es ist soweit«, entschied Sperber. »Ich wollte zwar noch ein wenig warten, aber laßt uns endlich feststellen, womit wir es zu tun haben.« Er schwang sich auf Farans Rücken und führte die Ritter in eine Stellung außerhalb der Palisade. Dann holte er tief Atem. Jetzt könnten wir ein wenig Licht gebrauchen, Göttin! Er sandte den Gedanken aus, ohne sich die Mühe zu machen, ihn auf styrisch zu formulieren.
Das ist wirklich unziemlich, Sperber! Aphraels Stimme klang ungehalten. Du weißt, daß ich Gebete auf elenisch nicht erhören sollte.
Du beherrschst beide Sprachen. Was macht es da für einen Unterschied?
Es ist eine Frage der der Schicklichkeit, Sperber!
Ich werde mich bemühen, es beim nächsten Mal besser zu machen.
Darüber wäre ich sehr froh! Paß auf, was hältst du davon?
Es begann als eine Art pulsierendes, lavendelfarbiges Glühen am nördlichen Horizont. Dann glitten Schleier vielfarbigen Lichts den Himmel empor und füllten schimmernd und wogend wie ein riesiger Vorhang das nächtliche Firmament.
»Was ist das?« rief Khalad.
»Das Nordlicht«, brummte Ulath. »So weit im Süden habe ich es noch nie gesehen. Ich bin beeindruckt, Sperber.«
Der schimmernde Vorhang aus Licht schwebte wie etwas Lebendes in der Dunkelheit, er löschte die Sterne aus und erfüllte die Nacht mit regenbogenfarbenem Leuchten.
Ein hörbares Stöhnen der Bestürzung und Ehrfurcht drang von der versammelten Heerschar nahe der Straße zu den Rittern empor. Sperber spähte angespannt in die mit Baumstümpfen übersäte Schneise. Die Angreifer trugen altertümliche Rüstungen – Brustharnische, Helme mit Roßhaarbüscheln, große Rundschilde, Kurzschwerter und zwölf Fuß lange Speere. Die vorderen Reihen waren offenbar eine dichte Formation mit überlappenden Schilden und vorgereckten Speeren gewesen. Beviers Katapulte hatten jedoch Lücken gerissen, und immer noch schmetterten Felsbrocken auf die Männer nieder, die so dicht standen, daß sie nicht zu fliehen vermochten.
Sperber beobachtete sie eine Zeitlang grimmig. »Also gut, Ulath«, sagte er schließlich, »sing ihnen das Ogerlied.«
Ulath grinste. Er hob sein gewundenes Ogerhorn an die Lippen und schmetterte einen tiefen Ton.
Die dicht gedrängten Fußtruppen, halb in Panik durch das erschreckende Leuchten am Himmel und demoralisiert durch den Beschuß, waren in keinster Weise auf den furchterregenden Ansturm stählerner Ritter und deren Streitrosse vorbereitet. Ein gewaltiges Krachen war zu hören, und die vorderen Reihen der Fußsoldaten gingen unter den Hufen der Pferde zu Boden. Die Ritter steckten ihre Lanzen zurück, zogen ihre Schwerter und Äxte und machten sich daran, die Reihen des feindlichen Fußvolks kräftig zu lichten.
»Ulath!« brüllte Sperber. »Setz die Peloi ein!«
Ritter Ulath hob erneut sein Ogerhorn an
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