Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
hauptsächlich, weil ich nicht will. Elenisch ist eine plumpe Sprache, und eure Schrift ist häßlich – wie Spinnweben.«
»Ihr wolltet also, daß wir Euch für ungebildet hielten?«
»Das mußte sein, Lieber. Pandionische Novizen sind nicht sehr klug, und ich wollte dafür sorgen, daß ihr euch wenigstens auf einem Gebiet überlegen fühlen konntet.«
»Sephrenia!« murmelte Vanion tadelnd.
»Ich mußte ein Dutzend Generationen dieser großen tolpatschigen Lümmel ausbilden, Vanion«, sagte sie heftig, »und dabei ihre unerträgliche Herablassung erdulden. Ja, Sperber, ich kann lesen, und ich kann zählen, und ich kann über Philosophie diskutieren, auch über Theologie, wenn es sein muß, und ich habe eine abgeschlossene Ausbildung in Logik.«
»Ich weiß nicht, warum du mich anschreist«, wandte Vanion sanft ein und küßte ihre Handflächen. »Ich habe von Anfang an gewußt, daß du eine recht nette Dame bist …« Wieder küßte er ihre Hände. »… für eine Styrikerin zumindest.«
Zornig riß sie die Hände los, als sie sein Grinsen sah. »Du bist unmöglich!« Jetzt lächelte auch sie.
»Wir sprachen von den Cyrgai, glaube ich«, erinnerte Stragen diskret. »Wer sie eigentlich sind.«
»Sie sind glücklicherweise ausgestorben«, antwortete Zalasta. »Offenbar gehörten sie einer Rasse an, die nicht mit den anderen Rassen in Daresien verwandt war – weder mit den Tamulern noch den Eleniern und ganz gewiß nicht mit den Styrikern. Manche vermuten, daß sie entfernt mit den Valesianern verwandt sein könnten.«
»Das kann ich nicht glauben, Weiser«, warf Oscagne ein. »Die Valesianer haben nicht einmal eine Regierung, und von Kriegführung verstehen sie überhaupt nichts. Sie sind die zufriedensten Menschen auf der Welt. Sie können unmöglich mit den Cyrgai verwandt sein!«
»Der Charakter eines Volkes hängt manchmal vom Klima ab, Exzellenz«, gab Zalasta zu bedenken. »Valesien ist ein Paradies, was man von Zentralcynesga wahrhaftig nicht behaupten kann. Nun, jedenfalls verehrten die Cyrgai eine gräßliche Gottheit namens Cyrgon und – wie es bei den meisten primitiven Völkern der Fall ist – leiteten ihren Namen von ihm ab. Alle Völker haben ein ausgeprägtes Geltungsbedürfnis, nehme ich an. Wir alle sind überzeugt, daß unser Gott besser als alle übrigen ist, und daß unsere Rasse allen anderen überlegen ist. Dies traf besonders auf die Cyrgai zu. Leider können wir den Glauben eines ausgestorbenen Volkes nicht näher erforschen, doch es hat ganz den Anschein, daß die Cyrgai sogar überzeugt waren, mit keiner anderen menschlichen Rasse verwandt zu sein, und daß Cyrgon ihnen alle Weisheiten offenbart hatte. Darum lehnten sie jegliche neuen Ideen ab. Sie haben ihre Vorstellung von einer Kriegergesellschaft bis ins Absurde verwirklicht, und sie waren von rassischer Reinheit besessen und strebten nach absoluter körperlicher Vollkommenheit. Wies ein Neugeborenes auch nur die kleinste Mißbildung auf, wurde es in der Wüste ausgesetzt, wo es qualvoll starb. Soldaten, die im Kampf verstümmelt oder verkrüppelt worden waren, wurden von ihren Kameraden getötet. Frauen, die statt Söhnen zu viele Töchter gebaren, erwürgte man. Die Cyrgai errichteten einen Stadtstaat an der Oase von Cyrga in Zentralcynesga und sonderten sich strikt von anderen Völkern und deren Zivilisation ab. Die Cyrgai hatten schreckliche Angst vor neuen Ideen, gleich welcher Art. Ihre Kultur war vermutlich die einzige in der Menschheitsgeschichte, die Dummheit idealisierte. Überragende Intelligenz galt für sie als eine Art Krankheit, und Kinder, die sich durch Klugheit hervortaten, wurden getötet.«
»Was für Bestien!« murmelte Talen.
»Natürlich eroberten die Cyrgai ihre Nachbarvölker und versklavten diese Menschen – hauptsächlich Wüstennomaden unbestimmter Rasse –, und es kam hin und wieder zu Mischgeburten, wie es bei Soldaten nicht anders zu erwarten ist.«
»Und das war natürlich in Ordnung«, warf Baroneß Melidere beißend ein. »Soldaten dürfen überall ungestraft Frauen schänden, oder?«
»In diesem Fall nicht, Baroneß«, entgegnete Zalasta. »Jeder Soldat, den man beim ›Fraternisieren‹ ertappte, wurde auf der Stelle hingerichtet.«
»Ein erfrischender Gedanke«, murmelte Melidere.
»Die Frau selbstverständlich ebenfalls. Doch trotz aller Wachsamkeit zeugten die Cyrgai immer wieder Mischlinge, obwohl dies in ihren Augen als ein scheußliches Verbrechen galt, und die Mischlinge
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