Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
alles ist, bitte ich Euch, mich zu entschuldigen, meine Herren. Ich habe eine Anprobe bei meiner Schneiderin.« Sie blickte sich um. »Kommst du, Sperber?«
»In ein paar Minuten«, antwortete er, »ich möchte noch etwas mit Platime besprechen.«
Sie nickte und ging zur Tür.
»Worum geht es, Sperber?« fragte Platime.
»Letzte Nacht, als ich durch die Stadt ritt, habe ich Naween gesehen. Sie arbeitet auf der Straße.«
»Naween? Das ist lächerlich. Meist vergißt sie sogar, Geld für ihre Dienste zu nehmen.«
»Das habe ich ihr auch gesagt. Sie und Shanda hatten Streit. Jedenfalls stand Naween an einer Ecke beim Osttor. Ich habe sie in einen Gasthof geschickt, damit sie nicht mehr im Regen herumstehen mußte. Können wir irgend etwas für sie tun?«
»Ich kümmere mich darum«, versprach Platime.
Ehlana hatte die Ratskammer noch nicht verlassen. Sperber vergaß mitunter, wie scharf ihre Ohren waren. Sie drehte sich an der Tür um. »Wer ist diese Naween?« fragte sie schroff.
»Eine Hure.« Platime zuckte die Schultern. »Eine besondere Freundin Sperbers.«
» Platime! « entrüstete sich Sperber.
»Stimmt das etwa nicht?«
»Nun, ich glaube schon. Aber so, wie Ihr es sagt…« Sperber suchte fieberhaft nach den richtigen Worten.
»Oh! So habe ich es nicht gemeint, Ehlana. Soviel ich weiß, ist Euer Gemahl Euch absolut treu. Naween ist eine Hure. Das ist ihr Gewerbe, aber es hat nichts mit der Freundschaft zu Sperber zu tun. Gewiß, sie hat sich Sperber angeboten, aber das tut sie bei jedem. Sie ist ein sehr großzügiges Mädchen.«
»Bitte, Platime«, stöhnte Sperber, »hört lieber auf, mich zu verteidigen.«
»Naween ist ein braves Mädchen«, fuhr Platime fort, an Ehlana gewandt. »Sie arbeitet fleißig, nimmt sich ihrer Kunden von Herzen an und bezahlt ihre Steuern.«
» Steuern? « rief Ehlana. »Soll das heißen, daß meine Regierung dieses Gewerbe gutheißt? Daß sie es legitimiert, indem sie es besteuert?«
»Habt Ihr auf dem Mond gelebt, Ehlana? Natürlich bezahlt Naween Steuern. Das tun wir alle. Dafür sorgt schon Lenda. Naween hat Sperber einmal geholfen, als Ihr krank wart. Er suchte nach diesem Krager. Naween hat ihm dabei geholfen. Wie ich schon sagte, sie bot Sperber auch andere Dienste an, doch er lehnte ab – sehr höflich natürlich. Er hat sie damit ein bißchen enttäuscht.«
»Wir werden uns eingehend darüber unterhalten müssen, Sperber«, sagte Ehlana bedeutungsvoll.
»Wie Majestät wünscht.« Er seufzte, als sie kühl aus der Kammer rauschte.
»Sie hat nicht viel Ahnung, wie's da draußen zugeht, nicht wahr, Sperber?«
»Das liegt an ihrer wohlbehüteten Erziehung.«
»Ich dachte, Ihr habt sie erzogen.«
»Stimmt.«
»Dann seid Ihr selbst schuld. Ich werde Naween zu ihr schicken, damit sie ihr alles erklärt.«
»Habt Ihr den Verstand verloren?«
Talen kehrte am nächsten Tag aus Delos zurück, in Begleitung von Ritter Berit. Sperber und Khalad empfingen sie an der Tür des Pferdestalls. Der Prinzgemahl versuchte, sich so unauffällig wie möglich zu machen, bis die Neugier der Königin nachließ, was Naween betraf.
Talens Nase war rot, die Augen verquollen. »Ich dachte, du würdest auf dem Hof bleiben, bis deine Erkältung auskuriert ist«, sagte Sperber.
»Ich hab' diese Bemutterung nicht mehr ausgehalten.« Talen rutschte aus dem Sattel. »Eine Mutter ist schlimm genug, aber meine Brüder und ich haben jetzt gleich zwei. Ich glaube nicht, daß ich je wieder auch nur einen Löffel Hühnerbrühe hinunterbringe. Hallo, Khalad.«
»Talen«, brummte Sperbers stämmiger junger Knappe. Er musterte seinen Halbbruder. »Deine Augen sehen ja furchtbar aus!«
»Du solltest sie mal von innen sehen!« Talen war jetzt etwa fünfzehn und machte gerade eine dieser »Phasen« durch. Sperber war überzeugt, daß der junge Dieb in den vergangenen sechs Wochen um gut drei Zoll gewachsen war. Ein beachtliches Stück Arm und Handgelenk ragten aus seinen Wamsärmeln. »Glaubt ihr, die Köche haben noch etwas zu essen?« fragte der Junge. Seines schnellen Wachstums wegen entwickelte Talen einen unglaublichen Appetit.
»Ich habe einige Schriftstücke zum Unterzeichnen für Euch, Sperber«, sagte Berit. »Nichts Dringendes, aber ich dachte, ich reite am besten gleich mit Talen.« Berit trug ein Kettenhemd und ein Breitschwert am Gürtel. Seine Lieblingswaffe war jedoch nach wie vor die schwere Axt, die von seinem Sattel hing.
»Kehrst du ins Ordenshaus zurück?« fragte
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