Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
warnte er. »Hast du das schon vergessen?«
Sperber bezweifelte nicht, daß seine Tochter mit der Zeit geschickter wurde, so daß Talen sich ihren Beweisen der Zuneigung nicht mehr so leicht entziehen konnte. Das Kätzchen war nicht mehr als eine Geste, dessen war Sperber sicher – ein plötzlicher Einfall, über den der Junge nicht einen Moment nachgedacht hatte, der jedoch sein Schicksal unweigerlich besiegelte. Vor ein paar Tagen hatte Sperber sich gefragt, welchen Fehler er einst gemacht hatte, dem er die unerschütterliche Zuneigung seiner Frau verdankte. Und nun erkannte er, daß dieses zerzauste feuchte Kätzchen Talens Fehler war – oder zumindest einer davon. Sperber zuckte unmerklich die Schultern. Talen würde einen brauchbaren Schwiegersohn abgeben – nachdem Danae ihn erzogen hatte.
»Ihr habt doch nichts dagegen, Majestät?« wandte Talen sich nun an die Königin. »Daß ich ihr das Kätzchen mitgebracht habe, meine ich.«
»Stellst du diese Frage nicht ein wenig verspätet, Talen?« entgegnete Ehlana.
»Oh, ich weiß nicht«, antwortete er keck. »Ich glaube, ich habe den besten Augenblick abgewartet.«
Ehlana blickte ihre Tochter an, die das Kätzchen immer noch an ihr Gesicht drückte. Alle Katzen sind geborene Opportunisten. Das schnurrende kleine Wesen tapste behutsam mit einer weichen Pfote auf die Wange des Kindes, dann fing es zu nuckeln an.
»Wie könnte ich nein sagen, nachdem du's ihr bereits gegeben hast, Talen?«
»Ja, das wäre schwierig, Majestät!« Wieder zog der Junge laut die Nase hoch.
Mirtai stand auf, legte den Dolch zur Seite und ging quer durchs Zimmer zu Talen hinüber. Als sie die Hand ausstreckte, zuckte dieser zurück.
»Halt still!« befahl sie dem Jungen und legte ihm die Hand auf die Stirn. »Du hast Fieber.«
»Nicht der Rede wert.«
Ehlana erhob sich aus ihrem Sessel. »Am besten, wir schaffen ihn schnell ins Bett, Mirtai.«
»Zuerst sollte er schwitzen«, meinte die Riesin. »Ich bringe ihn ins Badehaus, ein Dampfbad nehmen.« Sie packte Talen fest am Arm.
»Ihr werdet nicht mit mir ins Badehaus gehen!« protestierte er mit plötzlich glühendem Gesicht.
»Sei still!« wies Mirtai ihn zurecht. »Schickt jemand zu den Köchen, Ehlana. Sie sollen ein Senfpflaster bereiten und Hühnerbrühe kochen. Wenn ich ihn aus dem Badehaus zurückbringe, lege ich ihm das Senfpflaster auf die Brust, stecke ihn ins Bett und flöße ihm Hühnerbrühe ein.«
»Wollt Ihr einfach so herumstehen, Sperber, und zulassen, daß sie mir das antun?« beklagte sich Talen.
»Ich würde dir ja gern helfen, mein Freund«, versicherte Sperber, »aber ich muß auch an meine eigene Gesundheit denken, weißt du.«
»Ich wollte, ich wäre tot«, jammerte Talen, als Mirtai ihn aus dem Gemach zerrte.
Stragen und Ulath trafen einige Tage später aus Emsat ein und wurden sogleich zu den königlichen Gemächern geführt. »Du wirst fett, Sperber«, stellte Ulath fest, als er seinen Helm mit den Ogerhörnern abnahm.
»Ja, ich habe wohl ein wenig zugenommen«, gestand Sperber.
»Das macht das bequeme Leben«, rügte Ulath.
»Wie geht es Wargun?« fragte Ehlana den hünenhaften blonden Thalesier.
»Er hat den Verstand jetzt ganz verloren«, antwortete Ulath betrübt. »Sie haben ihn im Westflügel der Burg eingesperrt. Dort tobt er seinen Wahnsinn aus.«
Ehlana seufzte. »Ich habe ihn gemocht – wenn er mal nüchtern war.«
»Ich bezweifle, daß Ihr seinem Sohn dasselbe Gefühl entgegenbringen könnt, Majestät«, sagte Stragen trocken. Wie Platime war Stragen ein Gauner, aber er hatte viel bessere Manieren.
»Warguns Sohn habe ich nie kennengelernt«, sagte Ehlana.
»Beim nächsten Dankgebet solltet Ihr dafür ein paar Worte hinzufügen, Majestät. Er heißt Avin – ein kurzer, unbedeutender Name für einen kurzen, unbedeutenden Burschen. Er ist wahrhaftig nicht sehr vielversprechend.«
»Ist er wirklich so schlimm?« wandte Ehlana sich an Ulath.
»Avin Wargunsson ist eine Strafe der Götter. Ein kleiner Mann, der seine ganze Zeit darauf verwendet, sich zu vergewissern, daß niemand ihn übersieht. Als er erfuhr, daß ich hierher reise, rief er mich auf die Burg und gab mir ein königliches Schreiben für Euch mit. Er bemühte sich zwei Stunden lang, mich zu beeindrucken.«
»Und wart Ihr beeindruckt?«
»Nicht besonders, nein.« Ulath langte unter seinen Wappenrock und brachte ein gefaltetes und versiegeltes Blatt Pergament zum Vorschein.
»Was schreibt er?« fragte
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