Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
Ehlana.
»Das weiß ich nicht. Ich lese anderer Leute Post nicht. Aber ich nehme an, es handelt sich um eine ernsthafte Diskussion über das Wetter. Avin Wargunsson hat schreckliche Angst, daß die Leute ihn vergessen könnten. Deshalb gibt er jedem Reisenden, der Emsat verläßt, säckeweise königliche Schreiben mit.«
»Wie war die Reise?« fragte Sperber.
»Na ja, eine Seereise würde ich zu dieser Jahreszeit nicht gerade empfehlen«, antwortete Stragen. Seine eisblauen Augen wirkten hart. »Ich werde ein ernstes Wort mit Platime reden müssen. Ulath und ich wurden im Gebirge zwischen hier und Cardos von Räubern überfallen.«
»Es sind keine berufsmäßigen Räuber«, versicherte Sperber ihm. »Platime weiß von ihnen und wird etwas unternehmen. Kam es zu ernsten Problemen?«
»Nicht für uns.« Ulath zuckte die Schultern. »Was man von diesen Amateuren allerdings nicht sagen kann. Als wir fünf von ihnen zu Gott befohlen hatten, fiel dem Rest ein, daß sie irgendwo anders eine wichtige Verabredung hatten.« Er trat an die Tür und schaute auf den Korridor hinaus. Dann schloß er die Tür und blickte sich wachsam um. »Habt Ihr Dienstboten in einem Eurer Gemächer, Sperber?«
»Außer uns sind nur Mirtai und meine Tochter hier.«
»Dann kann ich frei sprechen. Komier sandte mich, um Euch darauf aufmerksam zu machen, daß Avin Wargunsson und Graf Gerrich von Lamorkand Verbindung aufgenommen haben. Gerrich hat es auf König Friedahls Thron abgesehen, und Avin ist zu dumm und unerfahren, als daß er sich aus den internen Streitigkeiten in Lamorkand heraushielte. Komier meint, es könnte eine geheime Absprache zwischen Gerrich und Avin geben. Patriarch Bergsten bringt die gleiche Nachricht nach Chyrellos.«
»Graf Gerrich wird sich bei Dolmant ziemlich unbeliebt machen, wenn er nicht besser acht gibt«, meinte Ehlana. »Ständig versucht er, Bündnisse zu schließen, obwohl er weiß, daß er damit die Regeln verletzt. Andere Reiche dürfen nicht in lamorkische Bürgerkriege hineingezogen werden.«
»Ist das eine bestehende Regel?« fragte Stragen ungläubig.
»Natürlich. Sie ist seit tausend Jahren in Kraft. Wenn die lamorkischen Barone ungehindert Bündnisse mit Edlen in anderen Königreichen schließen dürften, würden sie den ganzen Kontinent mindestens alle zehn Jahre in einen Krieg stürzen. Das ist tatsächlich geschehen, bis die Kirche einschritt und sie ermahnte, damit aufzuhören.«
»Und du hast gedacht, bei uns gäbe es seltsame Regeln!« sagte Stragen lachend zu Platime.
»Das ist etwas ganz anderes, Durchlaucht Stragen«, sagte Ehlana würdevoll. » Unsere Seltsamkeiten sind Teil der hohen Politik. Eure sind nur gesunder Menschenverstand. Das ist ein gewaltiger Unterschied.«
»Den Eindruck habe ich auch.«
In dem Augenblick, als es geschah, schaute Sperber zur Seite, doch er zweifelte nicht, daß auch die anderen die eigenartige Kälte verspürten, und den flüchtigen Hauch von Finsternis am Rand ihres Blickfeldes sahen.
»Sperber!« rief Ehlana erschrocken.
»Ja«, sagte er. »Ich weiß. Ich sehe es auch.«
Stragen hatte seinen Degen halb gezogen. Seine Hand bewegte sich katzenhaft flink. »Was ist das?« fragte er heftig, während er sich im Gemach umsah.
»Etwas Unmögliches«, sagte Ehlana und warf ihrem Gemahl einen unsicheren Blick zu. »Nicht wahr, Sperber?« Ihre Stimme zitterte leicht.
»Jedenfalls war ich bisher dieser Meinung«, antwortete er.
»Das ist nicht der rechte Augenblick für Rätsel«, rügte Stragen.
Dann waren Kälte und Schatten plötzlich verschwunden.
Ulath blickte Sperber nachdenklich an. »Kann es wirklich das sein, wofür ich es halte?« fragte er.
»Es hat ganz den Anschein.«
»Würde mir bitte jemand erklären, was hier geschieht?« sagte Stragen heftig.
»Erinnert Ihr Euch an die Wolke, die uns in Pelosien gefolgt ist?« fragte Ulath.
»Natürlich. Aber das war Azash, oder nicht?«
»Nein. Das glaubten wir. Doch nachdem wir hierher zurückgekehrt waren, erklärte Aphrael uns, daß wir uns täuschten. Deshalb wißt Ihr wahrscheinlich nichts davon. Der Schatten, den wir eben gesehen haben, das waren die Trollgötter. Sie befinden sich im Bhelliom.«
» In ihm?«
»Sie brauchten ein Versteck, nachdem sie Streitigkeiten mit den Jüngeren Göttern von Styrikum hatten.«
Stragen blickte Sperber an. »Aber Ihr habt doch gesagt, Ihr hättet den Bhelliom ins Meer geworfen!«
»Das haben wir auch.«
»Und die Trollgötter können nicht
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