Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
»Eunuchen waren sie erst, als die Mädchen mit ihnen fertig waren.«
»Kleine Mädchen haben so was getan?« Kalten blickte ihn entsetzt an.
»Sie waren nicht zart besaitet, Kalten. Außerdem waren sie alt genug, um zu wissen, was sie taten. Jedenfalls hatten die Ataner im fünfzehnten Jahrhundert einen sehr weisen König. Er erkannte, daß sein Volk drauf und dran war, sich selbst auszurotten. Er setzte sich mit der tamulischen Regierung in Verbindung und sandte seine Untertanen in die Sklaverei – um ihr Leben zu retten.«
»Eine ziemlich radikale Lösung«, bemerkte Ulath.
»Es gibt verschiedene Arten von Sklaverei, Ulath. Die in Atan ist eine Institution. Die Tamuler weisen die Ataner an, wohin sie sich begeben und wen sie töten sollen; und für gewöhnlich finden sie einen Grund, Anträge einzelner Ataner abzulehnen, einander umzubringen. Damit ist die atanische Sklaverei eigentlich schon beschrieben. Sie ist eine gut funktionierende Einrichtung. Die atanische Rasse überlebt, und die Tamuler haben mit ihnen die besten Fußsoldaten der Welt.«
Talen runzelte die Stirn. »Größe imponiert den Atanern ganz besonders, sagtet Ihr?«
»Größe ist eine Eigenschaft, die sie beeindruckt«, berichtigte Stragen.
»Warum hat Mirtai dann zugestimmt, Kring zu heiraten? Kring ist ein ausgezeichneter Krieger, aber er ist nicht viel größer als ich, und ich wachse noch.«
»Er muß etwas anderes besitzen, das Mirtai sehr beeindruckt.« Stragen zuckte die Schultern.
»Was könnte das sein?«
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung, Talen.«
»Er ist ein Poet«, warf Sperber ein. »Vielleicht ist es das.«
»Würde das bei jemandem wie Mirtai den Ausschlag geben? Sie hat zwei Männer aufgeschlitzt und bei lebendigem Leibe verbrannt, habt Ihr das vergessen? Das zeigt mir, daß sie nicht gerade zu den Mädchen gehört, die bei Poesie dahinschmelzen.«
»Frag nicht mich, Talen.« Stragen lachte. »Ich weiß eine Menge über die Welt, aber ich würde mir nicht anmaßen, auch nur zu raten, weshalb irgendeine Frau irgendeinen bestimmten Mann erwählt.«
»Sehr vernünftig«, murmelte Ulath.
Engessas Kuriere hatten der Stadt Kunde von der bevorstehenden Ankunft des königlichen Besuchs gebracht. Deshalb wartete am Tor eine Abordnung riesenhafter Ataner in feierlichem Ornat – in ihrer Kultur lediglich eine schmucklose, knöchellange Robe aus dunkler Wolle – zum Staatsempfang bereit. Inmitten dieser Riesen stand, winzig wie ein Zwerg, ein Tamuler in goldfarbenem Gewand. Er hatte silbermeliertes Haar und eine freundliche Miene.
»Was erwartet man von uns?« flüsterte Kalten Oscagne zu.
»Förmliches Benehmen«, riet Oscagne. »Ataner lieben Förmlichkeit. Ah, Norkan«, wandte er sich an den Tamuler in der goldfarbenen Robe, »wie schön, dich wiederzusehen. Fontan läßt dich grüßen.«
»Wie geht's dem alten Gauner?«
»Unverändert. Er hat vielleicht ein paar Runzeln mehr, ist aber noch immer der Alte.«
»Das freut mich. Aber warum sprechen wir Elenisch?«
»Damit du uns alle über die hiesigen Verhältnisse aufklären kannst. Wie stehen die Dinge hier?«
»Die Lage ist angespannt. Unsere Kinder sind unzufrieden. Die Unruhen, die sie niederschlagen, brechen immer wieder aus. Das verärgert sie. Du weißt ja, wie sie sind.«
»Und ob! Hat die Schwester des Kaisers dir inzwischen verziehen?«
Norkan seufzte. »Leider nicht. Ich fürchte, ich werde den Rest meiner Laufbahn hier verbringen müssen.«
»Du müßtest doch eigentlich wissen, wie sehr Hofschranzen Klatsch und Tratsch lieben. Was hat dich bloß zu dieser Bemerkung veranlaßt? Ich gebe ja zu, daß die Füße Ihrer Hoheit nicht gerade klein sind, aber ›großlatschige Kuh‹ war nicht sehr fein, das mußt du selbst zugeben.«
»Ich hatte ein bißchen zuviel getrunken und war verstimmt. Aber hier habe ich es ohnedies besser. In Matherion müßte ich ständig auf der Hut vor ihr sein. Ich lege wirklich keinen Wert darauf, Mitglied der kaiserlichen Familie zu werden, wenn ich dann ständig hinter Ihrer Hoheit herschreiten muß, während sie im Palast herumlatscht.«
»Wie du meinst. Was steht für uns auf der Tagesordnung?«
»Das übliche förmliche Brimborium. Offizielle Begrüßung. Reden. Zeremonien.«
»Gut. Unsere Freunde aus dem Westen sind manchmal etwas unorthodox, aber von Förmlichkeiten verstehen sie was. Erst wenn es lockerer zugeht, kommen sie hin und wieder in Schwierigkeiten. Darf ich dich der Königin von Elenien
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