Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
diplomatischen Sieg höchsten Grades errungen. Woher in aller Welt weiß sie, daß Ataner allesamt sentimental sind? Hätte sie noch drei Minuten weitergeredet, wäre kein Auge mehr trocken geblieben.«
»Unsere Königin ist eine sehr scharfsichtige und einfühlsame junge Frau«, sagte Stragen stolz. »Eine gute Rede ist immer eine Offenbarung von Gemeinsamkeiten. Unsere Ehlana vermag es genial, die Dinge aufzuspüren, die sie mit ihren Zuhörern verbindet.«
»Sieht ganz so aus. Für eines hat sie jedenfalls gesorgt, das dürft ihr mir glauben.«
»Ach? Und für was?«
»Die Ataner werden eine Reifefeier für Atana Mirtai veranstalten, wie es sie in jeder Generation nur ein- oder zweimal gibt. Der Gesang wird ohrenbetäubend sein!«
»Das wird wohl in der Absicht meiner Gemahlin gelegen haben«, meinte Sperber. »Für ihre Freunde tut sie gern schöne Dinge.«
»Und nicht so schöne für ihre Feinde«, warf Stragen ein. »Wenn ich nur daran denke, was sie mit Primas Annias vorhatte.«
»Das ist schon richtig so, Durchlaucht Stragen.« Oscagne lächelte. »Die einzige Entschädigung für die Unannehmlichkeiten, die wir uns mit der Macht aufladen, besteht darin, daß wir unsere Freunde belohnen und unsere Feinde bestrafen können.«
»Da kann ich Euch nur beipflichten, Exzellenz.«
Engessa unterhielt sich mit König Androl, und Ehlana mit Königin Betuana. Niemand wunderte sich sonderlich, als Sephrenia für die beiden Königinnen übersetzte. Es hatte ganz den Anschein, als würde die zierliche Styrikerin fast alle Sprachen der bekannten Welt beherrschen.
Norkan erklärte Sperber und den anderen, daß die Eltern eine große Rolle beim Initiationsritus spielten. Engessa vertrat Mirtais Vater, und Mirtai hatte Ehlana schüchtern gebeten, bei diesem Anlaß ihre Mutter zu sein. Diese Bitte hatte zu einer offenen Bekundung tiefer Zuneigung zwischen den beiden geführt. »Es ist im Grund genommen eine sehr rührende Zeremonie«, versicherte Norkan ihnen. »Die Eltern müssen bestätigen, daß ihr Kind fähig und bereit ist, die Pflichten auf sich zu nehmen, die das Erwachsensein mit sich bringt. Danach erklären sie sich bereit, die Herausforderung eines jeden anzunehmen, der anderer Meinung ist. Keine Angst, Sperber«, fügte er lächelnd hinzu. »Das ist reine Formsache. Die Eltern werden nicht allzu oft herausgefordert.«
»Nicht allzu oft?«
»Ich mache natürlich Spaß. Niemand wird gegen Eure Gemahlin kämpfen. Ihre Ansprache hat die Ataner völlig entwaffnet. Sie verehren Königin Ehlana. Ich hoffe allerdings, daß sie schnell lernt. Sie wird nämlich Tamulisch sprechen müssen.«
»Eine Fremdsprache lernt man nicht so schnell«, gab Kalten zu bedenken. »Ich habe Styrisch zehn Jahre studiert, und ich beherrsche es immer noch nicht.«
»Sprachen sind nicht Eure Stärke, Kalten«, warf Vanion ein. »Ihr kommt manchmal nicht einmal mit Elenisch zurecht.«
»Müßt Ihr mir das unbedingt unter die Nase reiben, Hochmeister Vanion?«
»Ich nehme an, daß Sephrenia ein bißchen nachhelfen wird«, sagte Sperber. »In Ghwerigs Höhle hat sie mich in etwa fünf Sekunden die Trollsprache gelehrt.« Er blickte Norkan an. »Wann wird die Zeremonie stattfinden?«
»Um Mitternacht. Das Kind wird zur Erwachsenen, wie aus einem Tag der nächste wird.«
»Darin liegt eine wundersame Art von Logik«, bemerkte Stragen.
»Die Hand Gottes«, murmelte der fromme Bevier.
»Wie bitte?«
»Selbst Heiden horchen auf diese leise innere Stimme, Durchlaucht Stragen.«
»Ich fürchte, ich verstehe immer noch nicht so ganz, was Ihr meint, Ritter Bevier.«
»Logik zeichnet unseren Gott aus«, erklärte Bevier geduldig. »Sie ist sein besonderes Geschenk an die Elenier, und er bietet den Segen logischen Denkens in seiner Großmut auch den Unwissenden an.«
»Gehört das wirklich zur elenischen Doktrin, Eminenz?« fragte Stragen den Patriarchen von Uzera.
»Na ja, nicht direkt«, antwortete Emban. »Diese Ansicht wird hauptsächlich in Arzium vertreten. Der arzische Klerus versucht seit etwa tausend Jahren, sie ins Glaubensbekenntnis aufnehmen zu lassen, aber die Deiraner sind dagegen. Wir Kirchenoberen befassen uns immer wieder mit dieser Frage, wenn wir nichts anderes zu tun haben.«
»Glaubt Ihr, es wird einmal ein Beschluß darüber gefaßt werden, Eminenz?« fragte Norkan.
»Du liebe Güte, nein, Exzellenz. Dann hätten wir ja nichts mehr zu debattieren.«
Oscagne näherte sich ihnen von der anderen Seite des
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