Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
jeden Schmerz zum eigenen zu machen. Jemand ersticht am anderen Ende der Welt einen Styriker, und Ihr fangt zu bluten an. Ihr tut mir so leid, daß Ihr sicher und in Luxus und Selbstmitleid hier in Matherion leben müßt, von Neid gepeinigt, daß Euch das Martyrium versagt ist. Nun, wenn Ihr so versessen darauf seid, Märtyrer zu werden, Salla, kann ich das schon für Euch in die Wege leiten.« Kalter Zorn erfüllte Sephrenia ob dieses brabbelnden Narren. »Die Tausend haben ihre Entscheidung getroffen«, sagte sie. »Ich bin nicht verpflichtet, sie Euch zu erklären, aber ich werde es trotzdem tun, damit Ihr die Entscheidung Euren Leuten klarmachen könnt – und Ihr werdet sie ihnen klarmachen, Salla, und dabei sehr überzeugend sein, oder ich werde Euch Eures Amtes entbinden.«
»Es ist mir auf Lebenszeit übertragen«, erklärte er herausfordernd.
»Da wäre ich mir nicht so sicher!« sagte Sephrenia drohend.
Salla starrte sie an. »Das wagt Ihr nicht!« krächzte er.
»Legt Euch lieber nicht mit mir an, Salla!« erwiderte sie mit tiefer Befriedigung. »Die Sache sieht so aus – unterbrecht mich, falls Ihr mir nicht folgen könnt. Die Elenier sind Wilde, die nur nach einem Grund suchen, jeden Styriker zu töten, der ihnen über den Weg läuft. Wenn wir sie in der gegenwärtigen Krise nicht unterstützen, servieren wir ihnen einen solchen Vorwand auf dem Präsentierteller. Also werden wir ihnen helfen, damit sie nicht jeden Styriker auf dem eosischen Kontinent umbringen. Das möchten wir doch nicht, oder?«
»Aber …«
»Salla, wenn Ihr noch ein einziges Mal ›aber‹ zu mir sagt, vernichte ich Euch!« Erstaunt stellte sie fest, welches Vergnügen es ihr bereitete, sich wie ein Elenier zu benehmen. »Ich habe Euch die Anweisungen der Tausend überbracht, und die Tausend sprechen für die Götter. Es gibt in dieser Angelegenheit keine Wenn und Aber, also hört auf, Euch herauszuwinden. Ihr werdet gehorchen oder sterben; eine andere Wahl habt Ihr nicht. Entscheidet Euch rasch, ich bin ziemlich in Eile!«
Selbst Zalasta schien erschrocken über ihren Tonfall.
»Eure Göttin ist grausam, Ratsherrin Sephrenia«, sagte Salla anklagend.
Sephrenia schlug ihn, ohne zu überlegen. Hand und Arm bewegten sich scheinbar von selbst. Sie hatte viele Generationen unter den pandionischen Rittern verbracht und wußte, wie man die Wucht der Schulter in den Schlag legte. Sie traf Salla mit der Faust hart auf die Kinnspitze, und er taumelte benommen rückwärts.
Sephrenia begann mit dem Todesspruch, und ihre Hände begleiteten die Worte unmißverständlich mit den erforderlichen Gesten.
Das werde ich nicht tun, Sephrenia! hallte Aphraels Stimme heftig in ihrem Kopf.
Das weiß ich, versicherten die Gedanken der zierlichen Styrikerin, ich will ihn nur aufrütteln, weiter nichts.
Salla keuchte erschrocken, als ihm bewußt wurde, was Sephrenia tat. Dann schrie er, warf sich auf die Knie und bettelte um Gnade.
»Werdet Ihr tun, was ich Euch befohlen habe?« fragte sie scharf.
»Ja, Priesterin! Ja! Bitte, tötet mich nicht!«
»Ich habe den Zauber nur unterbrochen, ich kann ihn jederzeit zu Ende führen. Ich halte Euer Herz in meiner Faust, Salla. Merkt Euch das gut und denkt daran, falls Ihr das nächste Mal das Bedürfnis haben solltet, meine Göttin zu beleidigen! Und jetzt steht auf und tut, was Euch befohlen wurde! – Kommt, Zalasta, gehen wir. Es stinkt hier nach Selbstmitleid, daß sich mir der Magen umdreht.«
»Ihr seid sehr hart geworden, Sephrenia«, sagte Zalasta mißbilligend, nachdem sie die engen Straßen der styrischen Enklave verlassen hatten.
»Ich habe ihm nur etwas vorgespielt, alter Freund«, versicherte Sephrenia ihm. »Aphrael hätte niemals auf meinen Spruch reagiert!« Sie betastete behutsam ihren Unterarm. »Wißt Ihr zufällig, wo es hier einen guten Arzt gibt? Ich glaube, ich habe mir das Handgelenk verstaucht.«
»Nicht sehr beeindruckend, die Herren«, stellte Ulath fest, als er mit Tynian und Kring über den fast peinlich sauberen Innenhof der Schloßanlage zur elenischen Burg zurückkehrte.
»Ganz meine Meinung«, bestätigte Kring. »Sie haben wahrscheinlich nichts anderes im Kopf als ihre Paraden.« Die drei kehrten von ihrer Besprechung mit dem Stab des imperialen Oberkommandos zurück. »Nur hohle Fassade, jeder einzelne«, fuhr der Domi fort. »Weder Saft noch Kraft.«
»Uniformierte Höflinge«, tat Ulath den tamulischen Generalstab verächtlich ab.
»Ich kann euch nicht
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