Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
angepackt.«
»Hütet Eure Zunge, Sperber. Ihr wärt nicht der erste, den ich lebenslang ins Kloster schicke.«
»Eure Versöhnungstaktik mit den Rendorern war sehr vernünftig. Ich habe zehn Jahre dort gelebt und kenne die Menschen. Die gewöhnlichen Bürger ließen sich gern mit der Kirche aussöhnen – allein schon, um die heulenden Fanatiker in der Wüste loszuwerden. Eure Politik ist richtig, aber Ihr habt die falschen Leute geschickt, sie in die Tat umzusetzen.«
»Alle Priester, die ich sandte, sind Gelehrte in der Doktrin, Sperber.«
»Das ist ja das Problem. Ihr habt doktrinäre Fanatiker nach Rendor geschickt. Die wollen nichts anderes, als die Rendorer für ihre Ketzerei zu bestrafen.«
»Häresie ist ein Problem, Sperber.«
»Die Häresie der Rendorer ist nicht theologischer Natur, Dolmant. Sie beten denselben Gott an wie wir, und die Grundlage ihres Glaubens ist dieselbe wie unsere. Die Unstimmigkeiten beschränken sich ausschließlich auf den Bereich der Kirchenverwaltung. Die Kirche war korrupt, als die Rendorer sich von uns lösten. Mitglieder der Hierokratie übertrugen Verwandten Kirchenämter in Rendor, und diese Verwandten waren schmarotzende Opportunisten, die weit mehr daran interessiert waren, ihre eigenen Beutel zu füllen, als sich um das Seelenheil der Rendorer zu kümmern. So war die Ausgangslage, als die Rendorer Primasse und Priester zu ermorden begannen – und aus genau demselben Grund tun sie es auch jetzt. Ihr werdet die Rendorer nie mit der Kirche versöhnen, wenn Ihr sie bestrafen wollt. Es ist ihnen egal, wer unsere Heilige Mutter regiert. Euch werden sie nie persönlich gegenüberstehen, mein Freund, wohl aber ihrem Priester. Und wenn der nichts anderes tut, als sie Ketzer zu schimpfen und ihren Frauen die Schleier vom Gesicht zu reißen, werden sie ihn umbringen. So einfach ist das.«
Dolmants Gesicht wurde noch besorgter. »Vielleicht habe ich tatsächlich einen Fehler gemacht«, gab er zu. »Aber falls Ihr irgend jemandem erzählt, ich hätte das gesagt, streite ich es natürlich ab.«
»Natürlich.«
»Hm, und Ihr habt einen Vorschlag, was in diesem Fall zu tun wäre?«
Plötzlich kam Sperber ein Gedanke. »In einer armen Kirche in Borrata gibt es einen Vikar. Wenn ich je einem Heiligen begegnet bin, dann war er es. Ich kenne nicht einmal seinem Namen, doch Berit weiß, wie er heißt. Schickt ein paar Leute als Bettler verkleidet nach Cammorien und laßt Euch berichten, um Euch ein Bild von diesem Vikar zu machen. Er ist genau der Mann, den Ihr braucht.«
»Warum soll ich nicht einfach nach ihm schicken?«
»Vermutlich würde er keinen Ton herausbekommen, wenn er vor Euch steht, Sarathi. Er ist die Demut selbst. Außerdem würde er seine Schäfchen nie verlassen. Wenn Ihr ihn nach Chyrellos zitiert und nach Rendor entsendet, stirbt er Euch wahrscheinlich binnen sechs Monaten. Er ist so ein Mensch.«
Dolmants Augen füllten sich plötzlich mit Tränen. »Ihr stimmt mich traurig, Sperber. Dieses Ideal hatten wir einst alle, als wir unser Gelübde ablegten.« Er seufzte. »Wie konnten wir es nur so aus den Augen verlieren?«
»Die Welt hat ihren Tribut verlangt, Dolmant«, entgegnete Sperber sanft. »Die Kirche muß in der Welt bestehen, aber die Welt verdirbt sie viel schneller, als sie die Welt erlösen kann.«
»Und wie läßt sich dieses Problem beheben, Sperber?«
»Das weiß ich nicht, Sarathi. Vielleicht gar nicht.«
Sperber! Es war die Stimme seiner Tochter, und sie sprach in seinem Kopf. Da er gerade durch das Mittelschiff der Basilika ging, kniete er rasch nieder, wie um zu beten, damit nicht auffiel, was er wirklich tat.
Was gibt es, Aphrael? fragte er stumm.
Du brauchst dich nicht vor mir auf die Knie zu werfen, Sperber, kam die ironische Antwort.
Gibt es etwas Wichtiges, oder willst du dich nur über mich lustig machen?
Sephrenia möchte wieder mit dir reden.
Gut. Ich bin im Mittelschiff der Basilika. Komm herunter, dann steigen wir gemeinsam zum Turm hinauf.
Ich warte oben auf dich.
Es führt nur eine Treppe in den Turm, Aphrael. Die müssen wir hinaufsteigen.
Du vielleicht, ich nicht. Ich gehe nicht gern in den Altarraum, Sperber. Dort muß ich immer innehalten und mit deinem Gott reden, und das ist meist recht ermüdend.
Sperbers Verstand schauderte vor den möglichen Schlußfolgerungen aus ihrer Bemerkung zurück.
Die trockene Holztreppe, die sich in Spiralen zur Kuppel hinaufwand, knarrte und ächzte protestierend unter Sperbers
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