Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
wuchtigem Tritt. Sie war sehr hoch, und er kam atemlos oben an.
»Wieso hast du so lange gebraucht?« fragte Danae. Sie trug ein weißes Hängekleidchen, wie bei kleinen Mädchen nicht unüblich, und so fiel niemandem auf, daß es von styrischem Schnitt war. »Es gefällt dir wohl, so zu mir zu reden?« rügte Sperber.
»Ist doch bloß Spaß, Vater.« Sie lachte.
»Ich hoffe, niemand hat dich heraufkommen sehen. Ich glaube nicht, daß die Welt schon für eine fliegende Prinzessin bereit ist.«
»Niemand hat mich gesehen, Sperber. Ich tue so was ja nicht zum erstenmal. Vertrau mir.«
»Habe ich eine andere Wahl? Also, fangen wir an. Es gibt noch eine Menge zu tun, bevor wir morgen früh aufbrechen.«
Sie nickte und setzte sich mit überkreuzten Beinen neben eine der riesigen Glocken. Wieder hob sie das Gesichtchen und stieß das flötengleiche Trillern hervor. Dann schien ihre Stimme zu entschweben, und ihr Gesicht wurde ausdruckslos.
»Wo wart Ihr so lange?« fragte Sephrenia und schlug Danaes Augen auf, um zu ihrem Schüler emporzublicken.
Er seufzte. »Wenn ihr zwei nicht damit aufhört, werde ich ich gewisse Konsequenzen ziehen!«
»Hat Aphrael Euch wieder geneckt?« fragte Sephrenia.
»Was sonst? Habt Ihr gewußt, daß sie fliegen kann?«
»Selbst gesehen habe ich es nicht, aber ich nahm es natürlich an.«
»Weshalb möchtet Ihr mich sprechen?«
»Ich habe beunruhigende Gerüchte vernommen. Die Nordataner sind in den Wäldern an der Nordküste ihres Reiches auf sehr große zottelige Kreaturen mit zotteligem Fell gestoßen.«
»Also dort sind sie hin!«
»Sprecht nicht in Rätseln, Lieber.«
»Komier sandte Ulath eine Botschaft, die besagte, daß offenbar alle Trolle Thalesien verlassen hätten.«
»Die Trolle!« rief Sephrenia. »Aber so etwas würden sie niemals tun! Thalesien ist seit Urzeiten ihre Heimat!«
»Vielleicht solltet Ihr lieber die Trolle daran erinnern. Komier ist überzeugt, daß kein einziger in Thalesien geblieben ist.«
»Etwas sehr, sehr Seltsames geht da vor sich, Sperber!«
»Offensichtlich. Können die Styriker von Sarsos sich einen Reim darauf machen?«
»Nein. Zalasta ist mit seiner Weisheit am Ende.«
»Und habt Ihr inzwischen eine Idee, wer hinter allem stecken könnte?«
»Sperber, wir wissen nicht einmal, was dahintersteckt. Wir haben nicht einmal die leiseste Ahnung, von welcher Art es sein könnte!«
»Aber irgendwie kommen wir immer wieder auf die Trollgötter zurück. Irgendeine Macht brachte die Trolle dazu, Thalesien zu verlassen. Wer sonst käme da in Frage, wenn nicht die Trollgötter? Können wir denn ganz sicher sein, daß es ihnen nicht gelungen ist, sich zu befreien?«
»Bei Göttern ist nichts unmöglich, Sperber. Ich weiß nicht, welchen Zaubers sich Ghwerig bedient hat, als er die Trolle ins Innere Bhellioms verbannte, daher weiß ich auch nicht, ob dieser Zauber gebrochen werden kann.«
»Dann wäre es also möglich?«
»Das sagte ich doch eben, Lieber. Habt Ihr diesen Schatten – oder die Wolke – in letzter Zeit wieder gesehen?«
»Nein.«
»Hat Aphrael sie je gesehen?«
»Nein.«
» Sie könnte es Euch sagen, aber ich möchte sie dieser unbekannten Gefahr lieber nicht aussetzen. Vielleicht können wir den Schatten dazu bringen, sich zu zeigen, wenn Ihr hier seid, so daß ich ihn mir ansehen kann. Wann brecht ihr auf?«
»Morgen in aller Früh. Danae ließ durchblicken, daß sie die Zeit beeinflussen kann wie damals, als wir mit Warguns Armee nach Azie marschierten. Das würde uns schneller ans Ziel bringen. Aber kann sie es jetzt noch so unbemerkt tun wie damals, als sie Flöte war?«
Die Glocke hinter der reglosen Gestalt seiner Tochter gab einen tiefen, weichen Ton von sich. »Warum fragst du nicht mich, Sperber?« Danaes Stimme schwang im Glockenton. »Es ist ja nicht so, daß ich nicht hier bin.«
»Woher sollte ich das wissen?« fragte Sperber die immer noch summende Glocke. »Kannst du es?«
» Natürlich kann ich es, Sperber!« antwortete sie gereizt. »Weißt du denn überhaupt nichts?«
»Das genügt!« tadelte Sephrenia.
»Aber er ist so schwer von Begriff!«
»Aphrael! Ich sagte, das genügt! Du wirst es deinem Vater gegenüber nicht am nötigen Respekt mangeln lassen.« Ein schwaches Lächeln huschte über die Lippen der scheinbar schlafenden kleinen Prinzessin. »Mag er noch so schwer von Begriff sein.«
Sperber seufzte.
»Schon gut, Sperber«, sagte Aphrael leichthin. »Wir sind doch Freunde. Da sollten wir
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