Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
zufrieden, die Boten brauchen nicht weit zu reisen, und die Bürger gehen ihren täglichen Geschäften nach. Eigentlich gar keine schlechte Art von Regierung.«
»Und ihre Religion?« erkundigte Bevier sich gespannt. Bevier war ein sehr frommer junger Ritter, der viel Zeit damit verbrachte, im Gebet mit Gott zu sprechen und über religiöse Fragen nachzusinnen. Seine Gefährten mochten ihn trotzdem.
»Die Zemocher reden nicht viel über ihren Glauben, Freund Bevier«, antwortete Kring. »Es war ihre Religion, die sie überhaupt erst in Schwierigkeiten brachte; deshalb unterhalten sie sich nicht gern offen darüber. Sie bauen ihre Feldfrüchte an, hüten ihre Schafe und Ziegen, und überlassen es den Göttern, ihre Meinungsverschiedenheiten unter sich auszumachen. Sie sind für niemanden mehr eine Bedrohung.«
»Wenn man davon absieht, daß ein zerfallendes Reich für jeden Nachbarn, der eine halbwegs schlagkräftige Streitmacht besitzt, geradezu eine Herausforderung sein muß«, fügte Botschafter Oscagne hinzu.
»Warum sollte sich jemand die Mühe machen, Exzellenz?« fragte Stragen. »In Zemoch gibt es nichts von Wert. Die Diebe dort müssen einer ehrlichen Arbeit nachgehen, um ein Auskommen zu haben. Othas Gold war offenbar eine Illusion. Es verschwand, als Azash starb.« Er lächelte spöttisch. »Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie sehr die Anhänger des Primas' von Cimmura sich darüber geärgert haben!«
In diesem Moment geschah etwas Merkwürdiges mit Krings Gesicht. Der wilde Reiter, dessen bloßer Name Furcht und Schrecken verbreitete, erblaßte zuerst, dann fing sein Gesicht zu glühen an. Mirtai war aus dem Frauenzelt getreten, in dem sie und die anderen Damen sich nach peloischer Sitte aufhielten. Seltsamerweise hatte Königin Ehlana keine Einwände dagegen erhoben, was eine gewisse Nervosität in Sperber hervorrief. Mirtai hatte die Einrichtung des Zeltes genutzt, um sich herauszuputzen, und Kring war ganz offensichtlich tief beeindruckt.
»Entschuldigt mich bitte«, sagte er, erhob sich rasch und beeilte sich, zu seiner Angebeteten zu kommen.
»Ich glaube, wir sind Zeugen der Entstehung einer Legende«, meinte Tynian. »Bestimmt werden die Peloi in den nächsten hundert Jahren Lieder über Kring und Mirtai schreiben.« Er blickte den tamulischen Botschafter an. »Benehmen alle Atanerinnen sich so wie Mirtai, Exzellenz? Sie ist offenbar glücklich, daß Kring sie verehrt, aber sie kann sich einfach nicht entschließen, ihn zu erhören.«
»Mirtai tut, was üblich ist, Ritter Tynian«, erwiderte Oscagne. »Atanerinnen lieben es, wenn man ihnen ergeben und ausdauernd den Hof macht. Sie genießen diese Aufmerksamkeit des Mannes. Das liegt wohl daran, daß die meisten Männer sich nach der Hochzeit anderen Dingen zuwenden. Doch solange sie umworben werden, wissen die Atanerinnen, daß sie der alleinige Mittelpunkt im Leben ihres Verehrers sind. Alle Frauen legen auf solche Dinge großen Wert, habe ich gehört.«
»Sie führt ihn doch nicht bloß an der Nase herum, oder?« fragte Berit. »Ich mag den Domi und möchte nicht, daß es ihm das Herz bricht.«
»O nein, Ritter Berit. Mirtai fühlt sich ehrlich zu ihm hingezogen. Würde sie seine Aufmerksamkeit als lästig empfinden, hätte sie ihn längst schon getötet.«
»Bei den Atanern um eine Frau zu freien, dürfte eine sehr aufreibende Sache sein«, bemerkte Kalten.
»Das kann man wohl sagen.« Oscagne lachte. »Der Freier muß sehr vorsichtig sein. Ist er zu forsch, kostet es ihn das Leben, ist er zu lasch, kostet es ihn die Braut; denn sie heiratet einen anderen.«
»Das ist ja barbarisch«, brummte Kalten mißbilligend.
»Atanerinnen scheint es zu gefallen. Aber Frauen sind ja auch elementarere Geschöpfe als wir.«
Sie verließen Basne früh am folgenden Morgen und ritten ostwärts nach Esos an der Grenze zwischen Zemoch und Astel. Für Sperber war es eine seltsame Reise. Sie dauerte drei Tage; dessen war er absolut sicher. An jede Minute, an jede Meile in diesen drei Tagen konnte er sich ganz genau erinnern. Doch wenn er überzeugt war, in einem Zelt zu schlafen, und seine Tochter ihn weckte, zuckte er regelmäßig heftig zusammen, als er feststellte, daß er statt dessen auf Farans Rücken döste und die Stellung der Sonne bewies, daß die vermeintliche Tagesreise keine sechs Stunden gedauert hatte. Prinzessin Danae weckte ihren Vater deshalb, weil er ihr helfen mußte, jede ›Nacht‹ ihre Vorräte und die der mitreisenden Peloi zu
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