Tamuli 2 - Das leuchtende Volk
wollt. Solltet Ihr mich töten müssen, um Euren Haß zu stillen, möge es so sein.«
Sephrenias Gesicht wurde totenbleich. »Ihr wißt, daß ich so etwas niemals tun würde, Xanetia!«
»Dann legt das Werkzeug des Todes in die Hände eines anderen. So könnt Ihr meinen Tod befehlen, ohne die eigenen Hände zu besudeln. Ist das bei Eurer Rasse nicht so üblich, Styrikerin? Ihr werdet unbefleckt bleiben, während Euer Durst nach Blut gestillt wird. Ihr könnt Eurer Göttin makellos vors Angesicht treten und ihr Eure Unschuld beteuern; denn Ihr werdet untadelig sein. Mein Blut wird an den Händen Eurer Elenier kleben, und elenische Seelen sind billig, nicht wahr?« Sie griff unter ihren Umhang und zog einen juwelengleichen Dolch hervor, der aussah, als wäre er aus Glas gefertigt. »Damit könnt Ihr mir den Tod geben, Sephrenia. Die Klinge ist aus Obsidian, damit Ihr Eure Hände – oder Eure Seele – nicht mit dem Euch verhaßten Stahl befleckt, wenn Ihr mir den tödlichen Stoß versetzt.« Xanetias Stimme war sanft, doch ihre Worte schnitten wie der harte, scharfe Stahl, von dem sie sprach, in Sephrenias Inneres.
»Ich höre mir das nicht an!« brauste die zierliche Styrikerin auf.
Xanetia lächelte. »Oh, Ihr tut es trotzdem, Sephrenia«, sagte sie, noch immer völlig ruhig. »Ich kenne Euch gut, Styrikerin, und ich weiß, daß meine Worte sich tief in Eure Seele gebrannt haben. Stets werdet Ihr sie hören. In der Stille der Nacht werden sie wiederkehren und jedesmal tiefer brennen. Wahrlich, Ihr werdet mir zuhören, denn meine Worte sind die der Wahrheit, und sie werden jeden Tag Eures Lebens in Eurer Seele widerhallen.«
Sephrenias Gesicht wurde von einem plötzlichen Ausdruck inneren Schmerzes überschattet, und mit einem Aufschrei flüchtete sie in die Höhle.
Itagne kehrte mit ernstem Gesicht von der Wiese auf den freien Platz vor der Höhle zurück. »Sie ist sehr überzeugend«, erklärte er den andern. »Ich glaube, daß sie es ehrlich meint!«
»Wahrscheinlich weiß sie nicht genug über die wahren Motive der Führer ihres Volkes, um falsche Gefühle zu heucheln«, meinte Bevier zweifelnd. »Vielleicht ist sie nicht mehr als ein Bauer in einem Schachspiel.«
»Xanetia ist eine der Führerinnen ihres Volkes, Ritter Bevier«, erwiderte ihm Itagne. »Sie ist so etwas wie die Kronprinzessin der Delphae. Nach dem Tod des Anari wird sie die Anarae.«
»Ist das ein Name oder ein Titel?« wollte Ulath wissen.
»Ein Titel. Der Anari – in Xanetias Fall die Anarae – ist sowohl der weltliche wie der geistliche Führer der Delphae. Der Name des derzeitigen Anari ist Cedon.«
»Ist das nicht bloß eine Mär, die sie sich ausgedacht hat?« fragte Talen. »Sie könnte nur vortäuschen , daß sie Kronprinzessin ist, damit wir sie für eine wichtige Persönlichkeit halten. In Wahrheit ist sie vielleicht Schäferin oder irgend jemandes Hausmagd.«
»Da bin ich anderer Meinung«, entgegnete Itagne. »Es mag sich überheblich anhören, aber ich glaube nicht, daß mich jemand so leicht belügen kann. Xanetia sagt, sie würde dereinst Anarae werden, und ich glaube ihr. Diese Vorgehensweise entspricht diplomatischen Gepflogenheiten. Geiseln müssen bedeutende Persönlichkeiten sein. Und es gibt noch einen Hinweis darauf, daß diese Angelegenheit für die Delphae sehr wichtig ist. Wenn es stimmt, was Xanetia sagt, ist sie das Wertvollste, das die Delphae besitzen.« Er verzog das Gesicht. »Es widerspricht zwar allem, was ich über die Leuchtenden weiß und was mich darüber gelehrt wurde, aber ich glaube, diesmal müssen wir ihnen trauen.«
Sperber und Vanion blickten sich an. »Was meint Ihr?« fragte Vanion.
»Ich glaube nicht, daß wir überhaupt eine Wahl haben. Wir können schlecht den ganzen Winter hier verbringen. Und egal, welche Richtung wir einschlagen – unser Weg führt immer nach Delphaeus. Daß Xanetia hier ist, ist von ihrer Seite zumindest so etwas wie ein Vertrauensbeweis.«
»Aber genügt er?«
»Wahrscheinlich wird er genügen müssen, Sperber. Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir etwas Besseres geboten bekommen.«
»Kalten!« rief Sephrenia bestürzt. »Nein!«
»Jemand muß es tun«, entgegnete der blonde Ritter hartnäckig. »Vertrauen muß beidseitig sein!« Er blickte Xanetia fest an. »Wollt Ihr mir irgend etwas sagen, ehe ich Euch auf das Pferd helfe?« fragte er. »Eine Warnung, vielleicht?«
»Ihr seid mutig, Ritter Kalten«, erwiderte sie.
»Dafür werde ich bezahlt.« Er
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