Tamuli 2 - Das leuchtende Volk
Flehen erhört und uns mit einem Fluch belegt.«
Ulath konnte sich nicht zurückhalten. »Dieser Edaemus hat aber eine merkwürdige Art, seine Zuneigung zu zeigen«, bemerkte er.
»Es war die einzige Möglichkeit, uns zu beschützen, Herr Ritter. Wir waren kein kriegerisches Volk und konnten nicht mit Waffen umgehen, mit denen die anderen Menschen einander umbringen. Deshalb legte Edaemus den Fluch auf uns, daß die geringste Berührung eines Delphae anderen den Tod bringt. Die Menschen fanden bald heraus, daß unsere bloßen Hände töten konnten.«
»Weshalb lebe ich dann noch, Cedon?« fragte Kalten. »Ich habe Xanetia mehrere Tage lang auf ihr Pferd und herunter geholfen, und ihre Berührung hat mich nicht getötet.«
»Wir haben gelernt, mit dem Fluch umzugehen, Ritter Kalten. Das gehörte zu dem Plan, als Edaemus die Hand gegen unseren See hob.«
»Den See?«
Der Anari nickte. »Edaemus brachte es nicht übers Herz, uns direkt mit dem Fluch zu belegen. Statt dessen verwünschte er den See. Er ist die einzige Quelle, aus der wir Wasser beziehen können, deshalb haben wir keine andere Wahl, als daraus zu trinken. Als wir ursprünglich in dieses Tal kamen, war Edaemus' Bewußtsein ebenso kindlich wie unseres. Verspielt gab er dem Gewässer diesen eigentümlichen Zusatz, der den See und dadurch auch uns zum Leuchten bringt. Wir trinken aus diesem See, und sein Wasser durchdringt unseren Körper. Aus Liebe ließ Edaemus uns wie Götter erscheinen. Es war ein harmloser Spaß, und wir verziehen ihm bald, daß er uns so verändert hatte. Doch als die Welt sich schließlich gegen uns wandte, verfluchte Edaemus den See, und dieser Fluch veränderte das Wasser – und damit auch uns. Die Berührung des Todes, die unsere Feinde von uns fernhält, ist jedoch nur ein kleiner Teil von Edaemus' Plan. Die Umstände haben uns von dieser Welt abgesondert, doch er will uns noch weiter von ihr entfernen. Wir verändern uns, meine Freunde. Unsere Körper werden anders, ebenso unser Verstand. Wir sind nicht mehr wie ihr. Wir sind auch nicht mehr, wie wir selbst einst waren. Mit jeder Generation schreitet diese unaufhaltsame Veränderung fort. Xanetia, die liebe, sanfte Xanetia, übertrifft mich bereits so sehr, daß ich ihren Gedankengängen nicht mehr zu folgen vermag. Mir scheint, daß sie mit der Zeit an Klugheit sogar den Göttern gleichgestellt sein wird – oder sie noch übertrifft.«
»Und dann werdet ihr uns verdrängen«, beschuldigte Sephrenia ihn. »So, wie die Trolle die Menschen der Frühzeit verdrängten, und wir die Trolle verdrängt haben. Ihr verachteten Delphae werdet uns beherrschen, unsere Götter vertreiben und uns wie Hunde in unfruchtbarer Öde gefangenhalten, während ihr die Früchte der Erde genießt. Wir Styriker haben äonenlang eine solche Behandlung durch die Eosier erduldet und viel gelernt. Ihr werdet uns nicht so leicht unterdrücken, Cedon! Wir denken nicht daran, euch anzubeten oder uns vor euch in den Staub zu werfen.«
»Wie sollten wir euch verdrängen und eure Lande an uns reißen, Sephrenia von Ylara? Wir sind an unseren See gebunden und können nicht sehr lange ohne sein Wasser sein. Eure Unterwerfung wäre ohnehin bedeutungslos für uns, denn wir werden nicht hier sein. Wir reisen dem Licht entgegen und werden schließlich selbst zu Licht. Meine Xanetia, die Anarae werden wird, könnte sich schon jetzt mit dem Licht vereinen. Doch jene von uns, die ihre Vollkommenheit noch nicht erreicht haben, halten sie zurück. Wenn wir tot sind, gibt es für Xanetia keinen Grund mehr, zu bleiben. Dann wird sie die Delphae führen, um unter den Sternen zu leben – mit Edaemus, der vorausgegangen ist, um unser Zuhause zu errichten.«
»Wo ihr Götter sein werdet«, fügte Sephrenia gehässig hinzu.
»Das ist ein Wort ohne Bedeutung, Sephrenia von Ylara«, warf Xanetia ruhig ein. »Wir alle, Götter und Menschen, streben demselben Ziel entgegen. Edaemus ist uns vorausgegangen, und wir werden euch vorausgehen. Wir werden voll Liebe eurer Ankunft harren, und wir werden euch sogar das Unrecht vergeben, das ihr uns angetan habt.«
» Uns vergeben? « brauste Sephrenia auf. »Ich verzichte auf eure herablassende Vergebung!« Wahrscheinlich war ihr gar nicht bewußt, daß sie sich der altertümlichen styrischen Sprache bedient hatte. »Ich werde euch nie vergeben und auch nie eure Vergebung annehmen!«
»Doch das werdet Ihr, Sephrenia«, widersprach die leuchtende Frau. »Schon jetzt ist Euer Herz
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