Tamuli 2 - Das leuchtende Volk
in unserer Literatur. Ich war immer der Meinung, daß drittklassige Poeten mit zu lebhafter Phantasie sich hier nur etwas zusammengereimt hätten. Ich denke da vor allem an Xadane . Jetzt aber bin ich in Delphaeus und erkenne, daß sehr viel von dem, was ich für literarische Übertreibung hielt, auf mehr als nur einem Körnchen Wahrheit beruht.« Itagne ging sehr geschickt vor, daran bestand kein Zweifel. Seine Behauptung, er sei sogar noch klüger als sein Bruder, der Außenminister, war offenbar nicht übertrieben.
Der Anari lächelte leicht. »Wir haben getan, was wir konnten, Itagne von Matherion. Ich muß Euch beipflichten, daß die Ballade grauenvoll und die Rührseligkeit abscheulich ist, aber Xadane hat den Zweck erfüllt, für den sie bestimmt war und konnte zumindest einige tief verwurzelte Vorurteile der Styriker beseitigen. Die Tamuler beherrschen die Ataner, und wir wollten keine Auseinandersetzung mit unseren riesenhaften Nachbarn. Ich schäme mich, es zuzugeben, aber ich habe beim Verfassen von Xadane keine unwesentliche Rolle gespielt.«
Itagne blinzelte. »Cedon, sprechen wir von derselben Ballade? Das Xadane, das ich in der Schule lernte, entstand vor etwa siebenhundert Jahren.«
»So lange ist es schon her? Wie schnell doch die Jahre vergehen! Matherion war eine so prächtige Stadt, und die Zeit in der Universität war sehr anregend.«
Itagne war zu sehr Diplomat, um seine Verwunderung offen zu zeigen. »Euer Gesichtsschnitt ist tamulisch, Cedon, aber erschien Eure Hautfarbe nicht … ungewöhnlich?«
»Ihr Tamuler seid viel zu kultiviert, als daß Ihr viel Aufhebens um jemanden macht, der … nun ja, ein bißchen anders aussieht. Aus meinen rassischen Merkmalen hat man lediglich den Schluß gezogen, daß ich ein Albino sei, und Albinos sind so ungewöhnlich nicht. Ich hatte einen Kollegen, einen Styriker, mit Klumpfuß. Erstaunlicherweise kamen wir gut miteinander aus. – Eure Sprache verrät mir, daß Euer Tamulisch sich geändert hat, seit ich das letzte Mal unter Tamulern war. Das würde es mir erschweren, nach Matherion zurückzukehren. Bitte, nehmt meine Entschuldigung wegen Xadane an. Es ist ein grauenhaftes Machwerk, aber, wie ich schon sagte, es hat seinen Zweck erfüllt.«
»Ich hätte es wissen müssen!« warf Sephrenia ein. »Die gesamte Gattung delphaeischer Literatur ist nur erfunden worden, um ein Klima der Intoleranz gegenüber den Styrikern zu schaffen.«
»Und was war der Zweck der jahrtausendelang gehegten glatten Lügen, mit denen ihr Styriker die Tamuler getäuscht habt?« fragte Cedon. »War die Absicht nicht die gleiche? Wolltet ihr die Tamuler nicht glauben machen, daß die Delphae nichtmenschlich sind?«
Sephrenia ging nicht auf diese Frage ein. »Ist euer Haß so ungeheuerlich, daß ihr mit euren Methoden den Verstand einer ganzen Rasse beeinflussen wollt?«
»Und wie gewaltig ist Euer Haß, Sephrenia von Ylara? Versucht Ihr nicht – selbst jetzt noch, jetzt in diesem Augenblick –, diese braven Elenier gegen uns aufzuhetzen?« Der Anari setzte sich müde in einen Polstersessel und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Mir scheint, unser gegenseitiger Haß ist zu weit gegangen, als daß er noch behoben werden könnte. Es ist wirklich das beste, wenn wir weit voneinander entfernt leben. Das ist auch der Grund, der uns zusammengeführt hat. Wir hegen den Wunsch, von allen anderen Rassen getrennt zu leben.«
»Weil ihr euch einbildet, so viel besser als wir übrigen zu sein?« Sephrenias Stimme troff vor Verachtung.
»Nicht besser, Priesterin, nur anders. Die Überheblichkeit überlassen wir Eurer Rasse.«
»Wenn ihr zwei diesen Jahrtausende alten Haß wieder aufflammen lassen wollt, legen wir anderen keinen Wert darauf, dabeizusein«, wandte Vanion kalt ein.
»Du weißt ja nicht, was sie getan haben, Vanion!« Aus Sephrenias Augen sprach stummes Flehen.
»Um ehrlich zu sein, meine Liebe, es interessiert mich nicht, was vor mehreren tausend Jahren geschehen ist. Wenn du so uralte Geschichten aufwärmen willst, dann tu's – aber allein!« Vanion blickte den greisen Delphae an. »Ich habe den Eindruck, Ihr seid an irgendeinem Handel mit uns interessiert, Cedon. Wir würden ja gern zusehen, wie Ihr und Sephrenia euch gegenseitig zerfleischt, aber wir sind ein wenig in Zeitnot. Staatsangelegenheiten, wißt Ihr.«
Diese Bemerkung brachte sogar Sperber aus der Fassung.
»Ihr seid sehr geradeheraus, Hochmeister Vanion«, rügte Cedon kalt.
»Ich bin Soldat,
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