Tamuli 2 - Das leuchtende Volk
bemerkte Avin.
»Wir sind neu.« Der eine Mann zuckte die Schultern. »Erst vorige Woche sind wir zur königlichen Leibwache gegangen.« Er legte einen Segeltuchbeutel auf den Boden und nahm ein Stemmeisen heraus. Vorsichtig setzte er es unter dem Faßdeckel an und öffnete ihn gekonnt.
»Was soll das?« fragte Avin heftig.
»Wie wollt Ihr den Wein trinken, wenn Ihr nicht an ihn herankommt, Avin?« entgegnete der Kerl. »Wir haben das richtige Werkzeug, Ihr vermutlich nicht.« Immerhin war der Mann glattrasiert. Das gefiel Avin. Die meisten seiner Leibgardisten sahen aus wie Bäume, aus denen goldenes Moos sproß. »Probier den Wein lieber, ob er nicht zu sauer schmeckt, Brok.«
»Mach' ich.« Der andere schöpfte eine Handvoll Wein und schlürfte ihn laut. Avin schauderte. »Find' nichts daran auszusetzen, Tel.« Er machte ein nachdenkliches Gesicht. »Wie wär's, wenn wir einen Eimer voll abfüllen, bevor wir den Deckel wieder draufgehen?« schlug er vor. »Dieses Faß die Treppe raufzuschleppen, war schwere Arbeit, die ganz schön durstig gemacht hat.«
»Gute Idee«, pflichtete Tel ihm bei.
Der Bärtige griff nach dem messingbeschlagenen hölzernen Eimer, den Avin als Papierkorb benutzte. »Habt Ihr was dagegen, wenn wir das hier benutzen, Avin?« fragte er.
Avin Wargunsson starrte ihn an. Das ging zu weit – selbst für Thalesier.
Der Bärtige leerte den Papierkorb auf Avins Schreibpult und tauchte ihn ins Faß. Dann stellte er den vollen Holzeimer auf den Boden. »Ich glaub', wir sind soweit, Tel«, sagte er.
»Gut«, antwortete Tel, »gehen wir's an.«
»Was tut ihr?« rief Avin schrill, als die beiden auf ihn zukamen.
Sie würdigten ihn nicht einmal einer Antwort. Es war unerhört! Er war der Prinzregent! Niemand hatte das Recht, ihn derart zu ignorieren!
Die Männer packten Avin an den Armen und trugen ihn zu dem Faß, ohne sich um sein heftiges Strampeln und Schreien zu kümmern. Sie achteten nicht einmal auf ihn, als er wild nach ihnen trat.
»Hinein mit dir«, sagte der Bursche namens Tel freundlich, beinahe in dem Tonfall, in dem man zu seinem Pferd spricht, wenn man es in den Stall schiebt. Die beiden Kerle hoben Avin Wargunsson mühelos in die Höhe und steckten ihn mit den Füßen voran in das Faß. Der Kerl namens Brok drückte Avin ins Faß, während Tel einen Hammer und eine Hand voll Nägel aus dem Segeltuchbeutel holte und nach dem Faßdeckel griff. Er setzte den Deckel auf Avins Kopf und drückte ihn hinunter. Dann klopfte er mit dem Hammer auf den Deckelrand, bis er festsaß.
Nur Avins Augen und die Stirn ragten aus dem Wein. Er hielt den Atem an und hämmerte hilflos mit den Fäusten gegen die Unterseite des Deckels, den Tel, ohne sich im mindesten aus der Ruhe bringen zu lassen, wieder festnagelte.
Die Damen schickten Kalten unerbittlich fort, als sie am Morgen nach dem Anschlag auf Königin Betuana aufbrachen. Kalten nahm seine Pflichten als Xanetias Beschützer sehr ernst, und er war ein wenig gekränkt, weil die Damen ihn nicht um sich haben wollten.
»Sie müssen jetzt ein bißchen unter sich sein«, erklärte Vanion ihm. »Teilt ein paar Ritter ein, in angemessener Entfernung zu beiden Seiten zu reiten, aber laßt die Damen in Ruhe und gebt ihnen ein wenig Zeit, Xanetia über ihren Schock hinwegzuhelfen.« Vanion war Soldat, konnte aber manchmal sehr einfühlsam sein. Sperber blickte über die Schulter. Sephrenia ritt dicht neben der tief bewegten Xanetia, und Betuana schritt auf der anderen Seite neben ihr her. Xanetia saß mit gesenktem Kopf auf ihrem Pferd und hielt Flöte in den Armen. Es schien, als hätten die Frauen sich hinter eine unsichtbare Wand zurückgezogen. Sephrenia streckte immer wieder die Hand aus, um die von innerer Angst erfüllte Delphae tröstend zu berühren. Die Rassenunterschiede und die äonenalte Erzfeindschaft schienen durch die weltweite Schwesternschaft aller Frauen vergessen zu sein. Sephrenia hatte diese Schranken spontan überwunden, um ihre ehemalige Feindin zu trösten. Betuana war nicht weniger fürsorglich, und obwohl sie die grauenhaften Folgen von Xanetias Berührung selbst gesehen hatte, schritt sie dicht neben der Delphae einher.
Aphrael hatte die Situation natürlich voll im Griff. Sie saß hinter Xanetia auf dem Pferd und hatte die Arme um die Taille der Delphae gelegt. Aphraels Berührung war eine der mächtigsten Kräfte auf Erden, und Sperber war sicher, daß Xanetia nicht allzu sehr litt. Das würde die Kindgöttin nicht
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