Tamuli 2 - Das leuchtende Volk
als einmal gesehen, wie Ihr reagiert, Liebes. Ich kenne Eure Instinkte. Falls Ihr nicht dagegen ankommt und jemanden töten müßt, dann versucht wenigstens, nicht allzuviel Blut zu vergießen. Ich möchte nicht mit einem Wischlappen in der Hand ertappt werden, wenn die Sonne aufgeht.«
»Weshalb seid ihr beide heute nacht so liebevoll?« fragte Mirtai.
»Ich fürchte, ich weiß nicht, was Ihr meint.«
»Seit wir aufgebrochen sind, hat Caalador mich schon mehrmals ›Schätzchen‹ genannt, und Ihr habt soeben ›Liebes‹ zu mir gesagt. Hat das eine bestimmte Bedeutung?«
Stragen lachte. »Wenn Einbrecher zusammenarbeiten, vertrauen sie einander ihr Leben an. Das schafft enge Bindungen, die für gewöhnlich halten – bis es um die Aufteilung der Beute geht.«
»Erst wenn alles geklärt ist und wir im Besitz sämtlicher Informationen sind, können wir offen gegen die Feinde des Reiches vorgehen, Sarabian«, sagte Ehlana. »Das Innenministerium weiß, daß wir irgend etwas planen, aber wir tun so, als liefe alles ganz normal. Bei der üblichen Vorgehensweise werden alle Verdächtigen festgenommen und in den Kerker geworfen, ehe man eine Verwaltungsbehörde auflöst und eine Regierungserklärung abgibt.«
»Ich verstehe natürlich, was Ihr meint.« Sie standen wieder auf der Brustwehr und blickten über die Stadt, während die Sonne aufging und sich aus dem dichten Bodennebel erhob. »Ist das nicht schön?« rief Sarabian. »Der Farbton des Nebels paßt genau zum Blaßlila der Mauern und Kuppeln!«
»Ihr habt eine wundervolle Stadt.«
»Mit einigen leider gar nicht so wundervollen Bewohnern. Was soll ich an Stelle der Polizeigewalt einsetzen, nachdem ich das Innenministerium aufgelöst habe?«
»Vermutlich müßt Ihr den Ausnahmezustand erklären.«
Sarabian zuckte zusammen. »Ich fürchte, dank der Ataner werde ich auch noch die letzten Freunde verlieren. Diese Rasse hat eine sehr vereinfachte Vorstellung von Gerechtigkeit.«
»Wir müssen uns ja nicht zur Wiederwahl stellen, Sarabian. Deshalb können wir auch unpopuläre Entscheidungen treffen.«
»Nur bis zu einem bestimmten Punkt«, widersprach er. »Ich muß mit den alteingesessenen Familien von Tamul zurechtkommen, die mir immer noch bitterböse Briefe wegen der Söhne und Brüder schreiben, die bei dem Putsch von den Atanern getötet oder verstümmelt wurden.«
»Aber diese Leute waren doch Hochverräter, oder nicht?«
»Nein.« Sarabian seufzte. »Wahrscheinlich nicht. Wir Tamuler verwöhnen unsere Kinder; ganz besonders die tamulischen Edelleute. Matherion ist eine politische Stadt, und wenn junge Tamuler die Universität besuchen, wird von ihnen erwartet , daß sie sich aktiv mit Politik beschäftigen – für gewöhnlich Politik der radikalsten Art. Name und Rang ihrer Familien schützen sie vor den Folgen allzu überschwenglichen jugendlichen Ungestüms. Als Student war ich Anarchist. Ich habe sogar mehrere Demonstrationen gegen die Regierung meines Vaters veranstaltet.« Sarabian lächelte leicht. »Normalerweise wurde ich mindestens einmal in der Woche verhaftet. Man hat mich aber nie in den Kerker geworfen, egal, wie sehr ich meinen Vater beschimpfte. Dabei habe ich mir wirklich alle Mühe gegeben! Aber den Kerker habe ich nie von innen gesehen. Die Polizei spielte da einfach nicht mit.«
Ehlana lachte. »Warum in aller Welt wolltet Ihr unbedingt in den Kerker geworfen werden?«
»Junge Tamulerinnen sind ungemein beeindruckt von politischen Märtyrern. Wäre es mir gelungen, ein paar Tage eingesperrt zu werden, hätte ich jede Menge Eroberungen machen können.«
»Ich dachte, Ihr wurdet schon als Wickelkind verheiratet. Ist es denn nicht unziemlich für einen verheirateten Mann, auch nur daran zu denken, andere Frauen zu erobern?«
»Meine erste Gemahlin und ich haben zehn Jahre lang nicht miteinander geredet, und das fing kurz nach unserer Hochzeit an. Und daß ich durch Tradition gezwungen war, acht weitere Gemahlinnen zu nehmen, machte die Vorstellung von ehelicher Treue lachhaft.« Plötzlich kam ihm ein Gedanke. »Ob Caalador wohl bereit wäre, einen Posten in meiner Regierung in Erwägung zu ziehen?«
»Keine schlechte Idee. Ich habe Platime in meine Regierung aufgenommen. Er ist in der cammorischen Unterwelt so etwas Ähnliches wie Caalador hier in Tamuli.« Ehlana blickte den Wehrgang entlang und sah, daß Mirtai zu ihnen kam. »Und? Hattet ihr Glück?« fragte sie.
»Schwer zu sagen.« Die Riesin zuckte die Schultern. »Wir
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