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Tamuli 2 - Das leuchtende Volk

Tamuli 2 - Das leuchtende Volk

Titel: Tamuli 2 - Das leuchtende Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Eddings
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Aber sie mißtrauen der Obrigkeit zu sehr, als daß sie darüber Näheres berichtet hätten. Es gibt die üblichen wilden Gerüchte über Vampire und Werwölfe und Harpyien und dergleichen, aber ich könnte mir gut vorstellen, daß die meisten Geschichten allzu oft nachgeschenkten Weinkrügen entsprungen sind. In den cynesganischen Ämtern tut man den Großteil dieser Berichte als Phantastereien unwissender Menschen ab, die zu viel saufen und zu viel Zeit in der Sonne verbringen. Aber eines nehmen die Behörden sehr ernst: die Berichte über Erscheinungen von Leuchtenden.«
    »Itagne«, sagte Kalten leicht gereizt, »seit wir nach Daresien gekommen sind, hören wir ständig von diesen ›Leuchtenden‹. Wenn wir etwas über sie wissen wollen, fangen die Leute zu zittern an, werden kreidebleich und stumm wie die Fische. Wir haben Euch jetzt hier, mitten in der Wüste, wo Ihr nicht weglaufen könnt, also verratet uns, wer – oder was – diese Leuchtenden sind!«
    »Bizarr, phantastisch und ekelerregend«, entgegnete Itagne leicht schaudernd.
    »Ich habe einen guten Magen! Sind es Ungeheuer? Zwölf Fuß groß und mit neun Köpfen oder dergleichen?«
    »Nein. Angeblich sehen sie wie ganz normale Menschen aus.«
    »Warum hat man ihnen diesen merkwürdigen Namen gegeben?« warf Berit ein.
    »Wie wär's, wenn du mich die Fragen stellen läßt, Berit?« wies Kalten ihn grob zurecht. Offenbar hatte er immer noch seine Schwierigkeiten mit Berit.
    »Verzeih, Kalten«, entschuldigte sich Berit sichtlich verwirrt und leicht gekränkt.
    »Nun?« wandte Kalten sich wieder an Oscagnes Bruder. »Warum diese Bezeichnung? Wieso nennt man sie die Leuchtenden?«
    »Weil sie wie Glühwürmchen glimmen, Ritter Kalten.« Itagne zuckte die Schultern.
    »Das ist alles?« fragte Kalten ungläubig. »Der ganze Kontinent gerät in Panik, bloß weil ein paar Leute im Dunkeln glühen?«
    »Natürlich nicht! Ihr Glimmen ist nur eine Warnung. Jeder in Tamuli weiß, daß er sich schnellstens umdrehen und um sein Leben laufen soll, wenn er jemanden auf sich zukommen sieht, der wie der Morgenstern leuchtet.«
    »Und zu welch schrecklichen Untaten sollen diese Ungeheuer fähig sein?« erkundigte sich Talen. »Sind es Menschenfresser, die Leute bei lebendigem Leibe verschlingen oder sie in Stücke reißen oder so etwas?«
    »Nein«, antwortete Itagne düster. »Der Sage nach bringt schon die leiseste Berührung den Tod.«
    »Wie bei einer Giftschlange?« fragte Khalad.
    »Viel schlimmer, junger Herr. Die Berührung der Leuchtenden läßt das Fleisch an den Knochen verrotten, wie bei der Verwesung im Grab. Aber das Opfer ist nicht tot, wenn dies geschieht. Die Schilderungen in den Sagen sind grauenvoll. Man hat uns sehr anschaulich berichtet, daß die Opfer der Leuchtenden wie erstarrt sind und vor unerträglichen Schmerzen brüllen, während ihr Gesicht und ihre Gliedmaßen sich auflösen und dahinschmelzen wie heißes Wachs.«
    »Das ist wirklich ein sehr anschauliches Bild!« Ulath schüttelte sich. »Ich könnte mir vorstellen, daß es die Aufnahme normaler Beziehungen zu diesen Leuten erschwert.«
    »Allerdings, Ritter Ulath.« Itagne lächelte. »Doch trotz allem gehören die Leuchtenden zu den beliebtesten Gestalten der tamulischen Literatur, was euch vielleicht Einblick in unsere ein wenig abartigen geistigen Neigungen vermittelt.«
    »Sprecht Ihr von Gruselgeschichten?« fragte Talen.
    »Nein. Das delphaeische Schrifttum ist viel umfassender.«
    »Delphaeisch? Was heißt das?«
    »Die Literatur bezeichnet die Leuchtenden nur als die Delphae«, erklärte Itagne. »Und die mythische Stadt, in der sie leben, heißt Delphaeus.«
    »Ein schöner Name!«
    »Das dürfte Teil des Problems sein. Tamuler neigen zur Gefühlsduselei, und der klangvolle Name Delphaeus füllt die Augen unserer unbedeutenderen Poeten mit Tränen, und ihr Hirn mit Sentimentalität. Sie sind blind für die grauenvollen Belange dieser Geschichte. Deshalb stellen sie die Delphae als einfache, naturverbundene Leute dar, die in einem völlig falschen Licht gesehen werden. Seit sieben Jahrhunderten decken sie uns mit gräßlichen Versen und schwülstigen, banalen Hirtengedichten ein. Sie verherrlichen die Delphae als romantische Hirten, die glimmend wie Glühwürmchen schwärmerisch durch die Gegend ziehen, unter den Schmerzen unerwiderter Liebe leiden und schwerfälligen Gedanken über ihre unbedeutende Religion nachhängen. Die akademische Welt betrachtet die delphaeische

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