Tamuli 2 - Das leuchtende Volk
Außerdem geht es dich nichts an, liebe Schwester, also halte dich heraus!«
»Kann man sich jemals damit abfinden?« wandte Itagne sich klagend an die anderen.
»Nein.« Kalten lachte. »Aber mit der Zeit stumpft man ab. Ich habe festgestellt, daß Trinken hilft.«
»Das ist Kaltens Lösung für alle Probleme«, erklärte Flöte und warf mit einer kleinen, ärgerlichen Bewegung den Kopf zurück. »Er versucht, den Winter mit einem Faß arzischem Rotwein zu kurieren – jedes Jahr.«
»Sind wir in diesem Teil des Imperiums jetzt fertig?« wandte Sperber sich an die Kindgöttin.
»Nein. Es muß noch etwas geschehen.« Aphrael seufzte und kuschelte sich an ihre Schwester. »Bitte, sei mir jetzt nicht böse, Sephrenia, aber ich fürchte, dir wird nicht gefallen, was noch bevor steht. Doch es ist notwendig. Wie sehr es dir auch zu schaffen machen wird, vergiß keinen Moment, daß ich dich liebe.« Sie setzte sich auf und streckte die Hände nach Sperber aus. »Ich muß mit dir reden. Allein!«
»Geheimnisse?« fragte Talen.
»Jedes Mädchen braucht Geheimnisse, Talen. Mit der Zeit wirst du mehr darüber erfahren. – Reiten wir ein Stückchen von den anderen weg, Sperber.«
Sie entfernten sich ein paar hundert Meter von der Straße und ritten dann parallel zu den anderen. Farans Hufeisen knirschten auf dem braunen, glühendheißen Kies des Wüstenbodens.
»Wir werden zur tamulischen Grenze weiterreiten«, sagte Flöte. »Dort wird das bevorstehende Ereignis stattfinden, und ich muß euch zuvor verlassen.«
»Uns verlassen?« sagte er erschrocken.
»Ihr werdet eine Zeitlang auch ohne mich zurechtkommen. Ich kann nicht dabeisein, wenn dieses Ereignis stattfindet. Es ist auch eine Frage des Anstands. Ich mag vielleicht flatterhaft und frivol erscheinen, wie Itagne sagte, aber daß ich keine guten Manieren hätte, kann man mir nicht vorwerfen. An diesem Ereignis wird eine bestimmte erhabene Persönlichkeit teilhaben, und meine Anwesenheit würde sie kränken – oder vielmehr ihn, da sie männlichen Geschlechts ist. Er und ich hatten früher einige Meinungsverschiedenheiten und reden zur Zeit nicht miteinander.« Sie verzog wehmütig das Gesicht. »Es ist ziemlich lange her, daß wir ein Wort gewechselt haben«, gestand sie. »Etwa acht- oder zehntausend Jahre. Aber der Betreffende tut etwas, das ich nicht billigen kann – wobei ich allerdings gestehen muß, daß er es mir nie richtig erklärt hat. Ich kann ihn durchaus leiden, aber er ist so schrecklich hochmütig. Er tut immer so, als wären wir anderen zu dumm, als daß wir verstehen könnten, was er macht – aber ich verstehe es sehr gut.« Sie machte eine Handbewegung, als wolle sie etwas zur Seite wischen. »Aber das ist eine Sache zwischen ihm und mir. Kümmere dich um meine Schwester, Sperber. Sie wird Schweres durchmachen.«
»Sie wird doch nicht erkranken, oder?«
»Das wäre ihr wahrscheinlich sogar lieber.« Die Kindgöttin seufzte. »Ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, ihr dies zu ersparen, aber ich sehe keine. Sephrenia muß da durch, wenn sie weiterwachsen will.«
»Aphrael, sie ist über dreihundert Jahre alt!«
»Was hat das damit zu tun? Ich bin um ein Hundertfaches älter, und ich wachse immer noch. Das muß Sephrenia auch. Ich habe nie versprochen, daß der Umgang mit mir leicht sein würde, Sperber. Was geschieht, wird für Sephrenia furchtbar schmerzvoll sein. Doch wenn sie es erst durchgemacht hat, wird's ihr viel bessergehen, weil sie es durchgemacht hat.«
»Das ergibt doch keinen Sinn!«
»Das ist auch nicht nötig, Vater. Das ist einer der Vorteile meiner Situation.«
Ihre Reise führte von Cynestra zur Grenze westlich von Sarna. Sie ritten in geruhsamen, nicht allzu anstrengenden Etappen von Oase zu Oase. Sperber hätte es nicht mit Sicherheit sagen können, doch es kam ihm so vor, als würde Aphrael auf irgend etwas warten. Sie und Vanion verbrachten viel Zeit mit dem Studium der Karte, und ihre Sprünge über den sonnengebackenen Kies von Ostcynesga wurden zusehends kürzer, während ihre Aufenthalte in den Oasen länger wurden.
Als die Gefährten sich der Grenze näherten, ließen sie sich noch mehr Zeit. Meist trotteten sie nun auf ganz gewöhnliche Weise ostwärts durch die Wüste, ohne Bhelliom zu bemühen.
»Es ist ausgesprochen schwierig, etwas Genaues zu erfahren«, sagte Itagne am Nachmittag des vierten Tages nach ihrem Aufbruch aus Cynestra. »Die meisten Erscheinungen bekamen die Wüstennomaden zu sehen.
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