Tamuli 3 - Das Verborgene Land
stehenbleiben und den Spalt im Auge behalten. Er wird Euch sagen, ob Ihr links oder rechts herumgehen müßt.«
»Oh!« Kalten blickte die anderen an. »Vergeßt, was ich vorher gesagt habe.« Dann ging er auf den Felsen zu.
»Nach rechts!« rief Sperber ihm nach.
Kalten nickte und änderte die Richtung.
»Zu weit. Ein bißchen zurück nach links!«
Der blonde Pandioner schritt wieder auf den Felsen zu und änderte die Richtung stets nach Sperbers gerufenen Anweisungen. Als er den Felsen erreichte, schlug er mit den Händen auf das Gestein. Dann zog er seinen schweren Dolch, stieß ihn in den Boden und kehrte um.
»Nun?« rief Sperber ihm entgegen, als er ungefähr den halben Weg zurückgelegt hatte.
»Ogerajin hat wirres Zeug geredet!« brüllte Kalten.
Sperber fluchte.
»Soll das heißen, es gibt keine Öffnung?« rief Talen.
»Das nicht«, antwortete Kalten, »aber sie befindet sich mindestens fünf Fuß links von der Stelle, die dein Verrückter angegeben hat.«
26
»Bitte laß das, Talen!« sagte Bevier. »Steig entweder ganz hinein oder bleib draußen! Es ist erschreckend, deine untere Hälfte so aus dem festen Stein ragen zu sehen.«
»Der Stein ist nicht fest, Bevier.« Als Beweis steckte der Junge die Hand in den Fels und zog sie wieder heraus.
»Na ja, er sieht zumindest fest aus. Bitte, Talen – rein oder raus, aber nicht dazwischen!«
»Spürst du irgend etwas, wenn du den Kopf hindurchstreckst?« wollte Mirtai wissen. »Im Innern ist es ein bißchen kühler«, antwortete Talen. »Es ist eine Art Höhle oder Tunnel. Am hinteren Ende scheint ein Licht.«
»Ist genug Platz, die Pferde hindurchzuführen?« fragte Sperber.
Talen nickte. »Das müßte sich machen lassen, wenn wir hintereinander gehen. Vermutlich wollte Cyrgon das Risiko, daß jemand die Öffnung durch Zufall entdeckt, so gering wie möglich halten.«
»Dann gehe ich als erster«, entschied Sperber. »Am anderen Ende könnte es Wächter geben.«
»Ich werde dir dichtauf folgen.« Kalten steckte seinen Dolch zurück und zog sein Schwert.
»Das ist eine beinahe vollkommene Illusion.« Xanetia berührte das Gestein links von der Öffnung. »Fugenlos und von wirklichem Fels nicht zu unterscheiden.«
»Die Täuschung war gut genug, Cyrga zehntausend Jahre zu verbergen«, meinte Talen.
»Gehen wir hinein«, sagte Sperber. »Ich möchte mich umsehen.«
Mit den Pferden gab es Schwierigkeiten, wie nicht anders zu erwarten. So gut man einem Pferd auch zuredet – es ist nicht bereit, in eine Steinmauer zu steigen. Bevier löste das Problem, indem er den Tieren die Augen verband. Dann führten die Gefährten ihre Reittiere in den Tunnel; Sperber ging an der Spitze.
Der Tunnel war etwa hundert Fuß lang, und da sich die Öffnung am hinteren Ende noch im Schatten befand, blendete das Licht nicht. »Halte mein Pferd«, flüsterte Sperber Kalten zu. Dann schlich er mit gesenktem Schwert auf diese Öffnung zu. Als er sie erreichte, straffte er die Schultern; dann trat er rasch hindurch und schwang die Waffe, um einem möglichen Angriff zuvorzukommen. »Und?« wisperte Kalten heiser. »Nichts. Es ist niemand da.«
Die anderen führten vorsichtig ihre Pferde herbei und heraus aus dem Tunnel. Sie gelangten in eine von Bäumen beschattete Mulde, die mit trockenem Gras bedeckt und mit unzähligen, aufrecht stehenden weißen Steinen übersät war. »Das Tal der Helden«, murmelte Talen. »Was?« fragte Kalten.
»So hat Ogerajin es genannt. Ich würde sagen, es klingt besser als ›Totenacker‹. Offenbar gehen die Cyrgai mit ihren Toten menschlicher um als mit ihren Sklaven.« Sperber ließ den Blick über den riesigen Friedhof schweifen. Dann wies er zur Westseite, wo ein ansteigender Hang das Ende des Friedhofs markierte.
»Gehen wir«, forderte er seine Gefährten auf. »Ich möchte feststellen, womit wir es zu tun haben.«
Sie durchquerten den Friedhof bis zum Fuß des Hanges, banden ihre Pferde an die dort wachsenden Bäume, und stiegen leise und vorsichtig den Hang hinauf. Die Mulde lag um ein gutes Stück niedriger als der Boden der Wüste rundum; in ihrer Mitte befand sich ein verhältnismäßig großer See, der dunkel in den Morgenschatten lag. Winterlich brachliegende Felder umgaben das Gewässer, und ein Wald dunkler Bäume wuchs an den Hängen der Mulde. Das ganze vermittelte den Eindruck strenger Ordnung, als wäre die Natur zu geraden Linien und präzisen Winkeln gezwungen worden. Jahrhunderte brutaler Sklavenarbeit hatten einen
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