Tamuli 3 - Das Verborgene Land
»Habt ihr mit ihnen gesprochen?« fragte Kalten aufgeregt.
Aphrael schüttelte den Kopf. »Das hielt ich für keine gute Idee. Über etwas, das sie nicht wissen, können sie auch nichts sagen.«
»Anarae«, meinte Bevier nachdenklich, »würden die Soldaten im Schloß den Tempelwachen ungehinderten Zugang und Bewegungsfreiheit erlauben?« »Nein, Herr Ritter. Die Cyrgai halten sich an alte Bräuche. Für Tempelwachen gibt es nur wenige Gründe, das Schloß zu betreten.«
»Dann können wir das wohl ablegen.« Kalten nahm den kunstvollen Bronzehelm ab und zog den dunklen Umhang aus, die er sich beide in der unteren Stadt ›ausgeliehen‹ hatte. Er berührte seine Wange. »Wir sehen immer noch wie Cyrgai aus. Wie wär's, wenn wir andere Uniformen stehlen und einfach hineinmarschieren?« Xanetia schüttelte den Kopf. »Die Soldaten im Schloß sind allesamt Angehörige der königlichen Sippe und kennen einander. Es wäre viel zu gefährlich.«
»Aber wir müssen eine Möglichkeit finden, in diesen Turm zu kommen!« sagte Kalten verzweifelt.
Mirtai blickte ihn an. »Ich habe mir bereits etwas ausgedacht. Es ist gefährlich, aber ich fürchte, eine andere Chance gibt es nicht.«
»Sprecht!« forderte Sperber sie auf.
»Vielleicht würde es uns glücken, ins Schloß zu gelangen und den Turm hinaufzuschleichen. Aber würde man uns entdecken, müßten wir kämpfen, und das brächte Ehlana und Alean in große Gefahr.«
Sperber nickte düster. »Das Risiko wäre zu groß«, bestätigte er.
»Also gut. Wenn wir nicht durch das Schloß schleichen können, müssen wir es außen versuchen.« »Ihr meint, den Turm erklimmen?« fragte Kalten bestürzt.
»Es ist nicht so schwierig, wie Ihr vielleicht glaubt, Kalten. Die Außenwände sind nicht aus Marmor erbaut und deshalb auch nicht glatt. Sie bestehen aus groben Steinblöcken mit vielen Unebenheiten und Löchern, an denen man sich festklammern und Halt für die Füße finden kann. Ich könnte dort wie an einer Leiter hinaufklettern, wenn es sein muß.«
»Ich bin in dieser Hinsicht leider nicht sehr geschickt, Mirtai«, gestand Kalten. »Ich würde alles tun, um Alean zu befreien, aber ich würde ihr wenig nützen, wenn ich fünfhundert Fuß in die untere Stadt hinabstürze.«
»Wir haben Seile, Kalten. Ich kann Euch halten. Talen klettert jede Wand wie ein Eichhörnchen hinauf, und ich kann es fast so gut wie er. Würden Stragen und Caalador zu unserer Gruppe gehören, hätten sie den Turm inzwischen bis zur Hälfte erklommen.«
»Mirtai«, erinnerte Bevier sie mit gequälter Miene, »wir tragen Kettenhemden. Eine steile Wand zu erklimmen, wenn einem siebzig Pfund Stahl auf die Schultern drücken, könnte sich als recht schwierig erweisen!« »Dann zieht das Kettenhemd doch einfach aus, Bevier!«
»Ich werde es aber vielleicht brauchen, wenn wir erst oben angekommen sind!« »Kein Problem«, beruhigte Talen ihn. »Wir bündeln die Hemden und ziehen sie hinter uns hoch. Ich muß sagen, das gefällt mir, Sperber. Es ist leise und geht verhältnismäßig schnell. Außerdem werden vermutlich keine Wachen außen am Turm herumklettern, um nach Eindringlingen Ausschau zu halten. Mirtai hat durch Stragen und Caalador eine gute Ausbildung genossen, und ich bin zum Einbrecher geboren! Sie und ich unternehmen die eigentliche Kletterpartie. Wenn wir genug Halt finden, lassen wir Seile für euch hinunter, und ihr könnt die Kettenhemden und Schwerter hinter euch hochziehen. Wir werden ganz schnell oben sein! Wir schaffen es schon, Sperber! Mit Leichtigkeit!«
Sperber blickte zweifelnd drein. »Mir fallen auch keine anderen Möglichkeiten ein«, mußte er gestehen.
»Dann machen wir es so!« sagte Mirtai. »Holen wir Ehlana und Alean heraus. Und sobald sie in Sicherheit sind, können wir anfangen, diese Stadt auseinanderzunehmen.«
»Erst wenn ich mein eigenes Gesicht wiederhabe!« sagte Kalten hartnäckig. »Soviel Rücksicht bin ich Alean schuldig!«
»Dann machen wir es doch gleich, Xanetia«, forderte Aphrael die Anarae auf. »Wenn wir es nicht tun, wird Kalten uns mit seiner Meckerei die ganze Nacht auf die Nerven gehen.« »Meckerei?« empörte sich Kalten.
»Welche Farbe hatte dein Haar, Kalten? Purpur, nicht wahr?« fragte Aphrael mit spitzbübischem Lächeln.
31
Die Westseite des Kaiserinnenflügels lag in tiefen Schatten, als Elysoun, Liatris und Gahenas aus der wenig benutzen Tür traten und durch die Dunkelheit eilten, um in einem Hain kunstvoll geschnittener
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