Tamuli 3 - Das Verborgene Land
phantasieloseste Bursche, den man sich vorstellen kann. Wenn es im Süden ein Tor gibt, wird es im Norden ebenfalls eines geben, das darfst du mir glauben! Geht nicht weg, ich bin gleich zurück.« Er drehte sich um und schlenderte durch die Wüste auf die zwei im Mondschein schimmernden Gipfel zu.
Heldin stand an einer Seite Bergstens, Atana Maris mit leicht besorgter Miene an der anderen.
»Was habt Ihr denn, Atana?« erkundigte sich Heldin.
»Ich fürchte, da ist etwas, das ich nicht verstehe, Heldin-Ritter«, gestand sie und bemühte sich, ihre Gedanken auf elenisch auszudrücken. »Diese Setras-Person ist ein Gott?«
»Ein styrischer Gott, ja.«
»Wenn er ein Gott ist, wieso konnte er sich da verirren?«
»Da sind wir uns nicht sicher, Atana Maris.«
»Genau das kann ich nicht verstehen. Wenn Setras-Gott ein Mensch wäre, würde ich sagen, er ist dumm. Aber da er ein Gott ist, kann er doch nicht dumm sein, oder?« »Es ist wohl besser, wenn Ihr Euch darüber mit seiner Eminenz hier unterhaltet«, riet Heldin ihr. »Ich bin nur ein Soldat, er dagegen ist Fachmann auf dem Gebiet der Theologie.« »Danke, Heldin«, murmelte Bergsten ein wenig ungehalten.
»Wenn er dumm ist, Bergsten-Priester, wie wollen wir dann wissen, daß er uns zum richtigen Ort gebracht hat?«
»Wir müssen uns auf Aphrael verlassen, Atana. Setras mag sich zwar mit gewissen Dingen nicht so recht auskennen, Aphrael dagegen sehr wohl, und soweit ich mich erinnere, hat sie geraume Zeit mit ihm geredet.«
»Und dabei sehr langsam gesprochen«, fügte Heldin hinzu. »Außerdem hat sie sich dabei schlichter Worte bedient.«
Maris ließ nicht locker. »Ist es möglich, Bergsten-Priester, daß ein Gott dumm sein kann!«
Bergsten blickte sie hilflos an. »Unserer ist es nicht«, erwiderte er ausweichend, »und ich bin sicher, eurer ist es auch nicht.«
»Ihr habt meine Frage nicht beantwortet, Bergsten!«
»Das stimmt, Atana«, gestand er. »Ich werde es auch nicht. Wenn Euer Wissensdurst in dieser Beziehung wirklich so groß ist, nehme ich Euch gern nach Chyrellos mit, sobald hier alles vorbei ist. Dann könnt Ihr Dolmant fragen.« »Ihr habt Euch gut aus der Affäre gezogen, Patriarch Bergsten«, murmelte Heldin. »Haltet den Mund, Heldin!« »Jawohl, Eminenz.«
Sperber, Bevier und Kalten standen an einem kleinen, vergitterten Fenster in dem muffigen Lagerhaus und blickten hinaus auf das befestigte Schloß, das hoch über die Stadt aufragte. »Das ist wirklich altertümlich!« stellte Bevier kopfschüttelnd fest. »Ich finde es trutzig genug«, meinte Kalten.
»Sie haben den Hauptteil des Schlosses als Teil der Außenmauer errichtet, Kalten. Das erspart zwar den Bau einer zweiten Mauer, macht aber die ganze Anlage wesentlich anfälliger für Angriffe. Mit ein paar guten Katapulten könnte ich die gesamte Befestigung in nur zwei Monaten dem Erdboden gleichmachen.«
»Ich glaube nicht, daß zu der Zeit, als sie das Schloß errichteten, Katapulte bereits erfunden waren, Bevier«, warf Sperber ein. »Vor zehntausend Jahren war sie wahrscheinlich die trutzigste Festung der Welt.« Er ließ den Blick über das emporragende Bauwerk schweifen. Wie Bevier bemerkt hatte, bildete die Rückseite des Schlosses einen Teil der Außenmauer, die diesen Abschnitt Cyrgas von der übrigen Stadt trennte. Niedrigere Türme schienen in ihrer unterschiedlichen Höhe wie Stufen zum riesigen Hauptturm zu führen, dessen untere Rückwand ebenfalls Teil der Außenmauer war. Das Schloß war offenbar nicht erbaut worden, um die Stadt zu überblicken, sondern um auf den weißen Kalksteintempel zu schauen. Das wies darauf hin, daß die Cyrgai sich ihrem Gott zuwandten und dem Rest der Welt den Rücken kehrten.
Die Tür, durch welche Talen sich Einlaß verschafft hatte, um den Gefährten Zutritt in dieses Lagerhaus zu ermöglichen, knarrte, als sie sich öffnete und sogleich wieder schloß. Dann beleuchtete das weiche Glühen von Xanetias Gesicht wieder schwach die Umgebung.
»Wir haben sie gefunden!« sagte die Kindgöttin, als die Anarae sie auf den Steinboden stellte. Sperbers Herz schlug plötzlich heftig. »Geht es ihnen gut?«
»Sehr zuvorkommend wurden sie nicht behandelt. Sie sind müde, hungrig und haben große Angst. Zalasta hatte sie kurz zu Klæl gebracht, um sie ihm zu zeigen – und das genügt, jedem Furcht einzuflößen.«
»Wo sind sie?« erkundigte Mirtai sich angespannt.
»Im Obergeschoß des höchsten Turmes auf der Rückseite des Schlosses.«
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