Tamuli 3 - Das Verborgene Land
»Offenbar hast du dieses merkwürdige Bedürfnis nach irgendeiner Buße. Aber dafür ist keine Zeit! Ich würde als Göttin nicht viel taugen, könnte ich nicht beide Bedürfnisse gleichzeitig stillen, nicht wahr?« Sie tippte auf ihre Syrinx. »Hast du irgendwelche Lieblingsweisen, die du gern hören möchtest?«
»Du meinst es ernst, oder?«
»Ja.« Sie blies einen kurzen Triller.
Für einen Moment funkelte er sie finster an; dann gab er es auf. »Können wir uns darüber unterhalten?« »Du bist zu Verstand gekommen? So schnell? Erstaunlich!«
Sperber ließ den Blick über die Insel schweifen. »Wo liegt dieser Ort?« fragte er neugierig.
Die Kindgöttin zuckte die Schultern. »Wo immer ich es möchte. Ich nehme ihn überallhin mit. Ist es dir wirklich ernst? Ich meine, was du gerade gedacht hast? Wolltest du tatsächlich Bhelliom nehmen, Khalad am Schlafittchen packen, dich auf Farans Rücken schwingen und versuchen, in drei verschiedene Richtungen gleichzeitig zu reiten?«
»Vanion und die anderen tun nichts als reden, reden und nochmals reden, Aphrael, und ihr Gerede führt zu nichts!« »Hast du mit Bhelliom über dein Vorhaben gesprochen?«
»Es ist meine Entscheidung, Aphrael. Ehlana ist meine Frau!«
»Wie mutig du bist, Sperber. Du triffst eine Entscheidung, die Bhelliom anbelangt, ohne dich mit ihm zu beraten. Laß dich nicht von seiner scheinbaren Höflichkeit täuschen, Vater. Sie ist nur Teil seines archaischen Verhaltens. Er wird nichts tun, wenn er weiß, daß es falsch ist – egal, wie sehr du dich bemitleidest. Doch wenn du ihm zu eigensinnig wirst, läßt er vielleicht ganz einfach eine neue Sonne entstehen – etwa sechs Zoll von deinem Herzen entfernt.«
»Ich habe die Ringe, Aphrael. Noch immer bin ich es, der hier die Befehle erteilt!« Sie lachte ihn aus.
»Glaubst du wirklich, die Ringe würden irgend etwas bedeuten, Sperber? Sie haben keinerlei Macht über Bhelliom. Sie dienten lediglich zur Tarnung! Sie sollten verschleiern, daß Bhelliom ein eigenständiges Bewußtsein hat – und sowohl einen eigenen Willen wie ein eigenes Ziel, das er verfolgt. Er kann die Kraft der Ringe brechen, wann immer er will.« »Warum brauchte er mich dann?«
»Weil du notwendig bist – wie der Wind oder die Gezeiten oder der Regen. Du bist so notwendig wie Klæl oder Bhelliom oder ich. Eines Tages werden wir hierher zurückkommen und uns lange und eingehend über Notwendigkeiten unterhalten. Aber erst, wenn du das Gefühl hast, dir die Zeit dafür nehmen zu können. Im Augenblick scheinst du sehr ungeduldig zu sein.«
»Und war die gekonnte Vorstellung, die du gestern für uns gegeben hast, ebenfalls eine Notwendigkeit? Wäre die Welt untergegangen, hättest du nicht dieses öffentliche Gespräch mit dir selbst geführt?«
»Was ich gestern getan habe, war nützlich, Vater, aber nicht notwendig. Ich bin, wer ich bin; das kann ich nicht ändern. Wenn es zu einer meiner Doppelexistenzen kommt, sind für gewöhnlich Menschen zugegen, die beide kleinen Mädchen kennen und denen somit die Ähnlichkeit auffällt. Deshalb sorge ich dafür, daß die Mädchen einander in aller Öffentlichkeit begegnen. Das verhindert lästige Fragen und zerstreut jeden möglichen Verdacht.« »Du hast Murr ganz schön erschreckt, weißt du?«
Sie nickte. »Ich werde es wieder gutmachen. Das war übrigens schon immer ein Problem. Tiere lassen sich nicht täuschen. Sie sehen uns nicht so, wie wir einander sehen.« Sperber seufzte. »Was soll ich tun, Aphrael?«
»Ich hatte gehofft, ein Besuch hier würde dich wieder zur Vernunft bringen. Ein kurzer Abstecher in die Wirklichkeit hat normalerweise diese Wirkung.«
Sperber blickte zu ihrem ganz persönlichen regenbogenfarbenen Himmel empor.
»Das ist deine Vorstellung von Wirklichkeit?«
»Gefällt dir meine Wirklichkeit nicht?«
»Sie ist wundervoll.« Er streichelte abwesend den Hals des weißen Rehs. »Aber das alles ist ein Traum!«
»Bist du so sicher, Sperber? Bist du wirklich sicher, daß dies nicht die Wirklichkeit und jener andere Ort der Traum ist?«
»Hör auf damit! Es bereitet mir Kopfschmerzen. Was soll ich tun?«
»Ich würde sagen, du solltest dich als erstes eingehend mit Bhelliom beraten. Dein Trübsalblasen und deine Grübelei über eigenmächtige Entscheidungen machen ihm ziemliche Sorgen.«
»Also gut. Und was dann?«
»So weit bin ich noch nicht.« Sie grinste ihn schelmisch an und ahmte Caalador nach: »Aber ich arbeite daran,
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