Tamuli 3 - Das Verborgene Land
machten, zu Bett zu gehen. »Was aufgefallen?«
»Du weißt genau, was ich meine, Khalad. Du siehst doch sonst alles, was sich um dich herum tut. Nichts entgeht dir. Sperber und Sephrenia haben sich sehr ungewöhnlich verhalten, als Flöte und Danae sich unterhielten.« »Stimmt«, gab Khalad gelassen zu. »Na und?« »Interessiert dich denn gar nicht, weshalb?«
»Dir ist wohl noch nicht der Gedanke gekommen, daß dieses ›Weshalb‹ uns nichts angeht?«
Berit ignorierte die Bemerkung. »Ist dir auch aufgefallen, wie sehr die zwei kleinen Mädchen sich ähneln?«
Khalad zuckte die Schultern. »Du bist der Sachverständige für Mädchen.«
Berit errötete heftig und verwünschte sich deshalb insgeheim.
»Du brauchst nicht rot zu werden«, fuhr Khalad fort. »Das ist kein Geheimnis. Kaiserin Elysoun verbirgt ihre Gefühle ebensowenig wie ihren – nun, du weißt schon was.«
»Sie ist ein anständiges Mädchen!« verteidigte Berit die Kaiserin hitzig. »Ihr Volk hat eben andere Moralvorstellungen als das unsere. Treue ist für sie ein Fremdwort, aber es ist nichts Sündhaftes dabei.«
»Das habe ich auch nicht behauptet. Außerdem – wenn ihr Gemahl sich nicht an ihrem Benehmen stört, warum sollte ich es tun? Außerdem bin ich vom Lande. Wir sind in solchen Dingen realistischer. Ich möchte nur nicht, daß du dein Herz zu sehr an sie hängst, Berit. Es könnte ja sein, daß Elysoun mit der Zeit andere Männer besser gefallen.«
»Es ist bereits soweit«, erwiderte Berit. »Aber deshalb will sie unsere Freundschaft nicht beenden. Sie möchte zu mir und zu ihm freundlich sein – und zu dem halben Dutzend anderen, die zu erwähnen sie zuvor vergessen hatte.«
»Die Welt braucht mehr Freundschaft, Berit.« Khalad grinste. »Würden die Menschen freundlicher miteinander umgehen, gäbe es nicht so viele Kriege.« Kragers nächster Brief traf zwei Tage später ein, und wieder wurde seine Echtheit mit einer Locke Ehlanas bestätigt. Der Gedanke, daß der widerliche Säufer mit seinen schmutzigen Händen das platinblonde Haar seiner Königin schändete, erzürnte Berit über alle Maßen. Wieder las Vanion den Brief laut vor, während Sperber ein Stück abseits saß und zärtlich die Locke seiner Gemahlin hielt.
»›Sperber, alter Junge‹«, begann das Schreiben, »›es macht Euch doch nichts aus, wenn ich Euch so nenne, oder? Ich habe es stets bewundert, wenn Martel mit seinen lockeren Sprüchen und dieser respektlosen Anrede daherkam, sobald alles zu seiner Zufriedenheit verlief. Das war allerdings so ziemlich das einzige, das ich an ihm bewunderte. – Doch genug dieser nostalgischen Erinnerungen. Ihr werdet eine Reise machen, Sperber. Wir möchten, daß Ihr und Euer Knappe den üblichen Landweg nach Beresa in Südostarjuna nehmt. Ihr werdet die ganze Zeit beobachtet; also macht keine Abstecher und erlaubt nicht, daß Kalten und die anderen Affen Euch heimlich folgen! Laßt auch nicht zu, daß Sephrenia sich als Mäuschen oder als Floh verwandelt in einer Eurer Taschen versteckt. Und benutzt Bhelliom auf gar keinen Fall, nicht einmal, um ein Lagerfeuer zu entfachen! Ich weiß, daß wir uns auf Euch verlassen können, alter Junge, da Ihr Ehlana nicht mehr lebend wiederseht, wenn Ihr nicht tut, was wir Euch sagen.
Es ist stets eine Freude, sich mit Euch zu unterhalten, Sperber, besonders, wenn Euch die Hände gebunden sind, wie diesmal. Vergeudet keine Zeit mehr! Nehmt Khalad und den Bhelliom und begebt Euch nach Beresa. Dort erhaltet Ihr weitere Anweisungen. Mit freundlichen Grüßen Krager.‹«
3
Sie redeten und redeten, und jedes »Vielleicht« oder »Möglicherweise« oder »Wahrscheinlich« oder »Andererseits« machte Sperber noch nervöser. Es war ohnehin alles bloße Spekulation, ein nutzloses Ratespiel, wobei sich alles im Kreise drehte, ohne irgendwohin zu führen.
Sperber saß ein wenig abseits von den anderen und hielt die fast weißblonde Locke Ehlanas in der Hand. Das Haar fühlte sich seltsam lebendig an und schien sich wie von selbst zärtlich um seine Finger zu wickeln.
Natürlich war es seine Schuld. Er hätte nie zulassen dürfen, daß Ehlana nach Tamuli reiste. Es ging sogar noch weiter. Ihr Leben lang hatte Ehlana sich in Gefahr befunden, und immer nur seinetwegen – weil er Anakha war. Xanetia hatte gesagt, Anakha sei unbesiegbar; aber das erwies sich nun als Irrtum. Anakha war verwundbar wie jeder Ehemann. Indem er sich mit Ehlana vermählte, hatte er sie in Gefahr gebracht –
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