Tamuli 3 - Das Verborgene Land
daß die Zeremonie genau bei Anbruch der Dunkelheit am Ufer des glühenden Sees zu beginnen hatte. Sperber konnte sich in etwa denken, weshalb dies so passend für die Leuchtenden war, doch die Hochzeit von Vanion und Sephrenia hatte, falls überhaupt, nur wenig mit dem Abkommen zwischen den Delphae und ihrem Gott zu tun. Doch die Höflichkeit erforderte, daß Sperber seine Meinung für sich behielt. Er erbot sich allerdings, Vanion in die traditionelle schwarze Paraderüstung der Pandioner zu kleiden. Doch der Hochmeister entschied sich für eine weiße styrische Robe. »Ich habe meinen letzten Krieg gefochten, Sperber«, erklärte er ein wenig betrübt. »Dolmant wird gar keine Wahl haben, als mich zu exkommunizieren und anschließend aus der Ritterschaft auszustoßen. Das macht mich wieder zum Zivilisten. Ich habe ohnehin nie besonders gern Rüstung getragen.« Er blickte neugierig auf Ulath und Tynian, die vor der Stalltür angestrengt auf Bhlokw einredeten. »Was geht da draußen vor?«
»Sie versuchen ihrem Freund klarzumachen, was eine Hochzeit ist. Aber sie haben offenbar ihre Schwierigkeiten damit.«
»Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß Trolle viel von feierlichen Zeremonien halten.«
»Da habt Ihr allerdings recht. Wenn ein Trollmann Liebesgefühle für eine Trollfrau entwickelt, bringt er ihr etwas – oder jemanden – zu essen. Wenn sie tüchtig zulangt, sind sie verheiratet.«
»Und wenn sie gerade keinen Hunger hat?«
Sperber zuckte die Schultern. »Dann versuchen sie für gewöhnlich, einander zu töten.«
»Habt Ihr eine Ahnung, weshalb Bhlokw nicht mit den anderen Trollen fortgezogen ist?«
»Nicht die leiseste, Vanion. Wir konnten keine vernünftige Antwort aus ihm herausbekommen. Offenbar haben die Trollgötter ihm irgendeinen Auftrag erteilt.« Der Nachmittag schien kein Ende zu nehmen, und Vanion wurde immer gereizter. Unaufhaltsam glitt der Tag in einen grauen Abend, und die Dämmerung senkte sich auf das verborgene Tal von Delphaeus herab.
Der Weg vom Stadttor zum Seeufer war alter Tradition gemäß säuberlich geräumt worden, und Aphrael, die sich nichts dabei dachte, hin und wieder einmal ein bißchen zu schwindeln, hatte ihn mit Blütenblättern übersät. Die leuchtenden Delphae standen zu beiden Seite des Weges und sangen eine Hymne. Vanion wartete mit Sperber am Seeufer; die anderen Gefährten befanden sich in der Nähe und lächelten erwartungsvoll, als Sephrenia, Ehlana an ihrer Seite, aus der Stadt kam, um zum See hinunter zu schreiten.
»Nur Mut, mein Sohn«, murmelte Sperber seinem alten Freund zu.
»Wollt Ihr witzig sein?«
»Heiraten tut nicht weh, Vanion.«
Es geschah, als die Braut und ihr Gefolge etwa die Hälfte des Weges zum See zurückgelegt hatten. Eine Wolke von tintiger Schwärze erschien plötzlich am Rand der schneebedeckten Wiese, und eine gewaltige Stimme brüllte: »Nein!« Ein Funke weißglühenden Lichts, umgeben von einem flackernden Ring aus purpurnem Glühen, löste sich aus der Mitte der Wolke und schwoll bedrohlich an. Sperber erkannte dieses Phänomen.
»Ich verbiete diese Ungeheuerlichkeit!« donnerte die gewaltige Stimme.
»Zalasta!« entfuhr es Kalten, der zu der rasch wachsenden Kugel hinaufstarrte. Der Styriker wirkte ausgemergelt; Kopf- und Barthaar waren verfilzt. Er trug seine übliche weiße Robe und hielt seinen polierten Stab in den zitternden Händen. Er stand innerhalb der glühenden Scheibe, umgeben von ihrem schützenden Strahlenkranz. Sperber spürte, wie ihn eine eisige Ruhe überkam, während sein Geist und seine Seele sich für den unvermeidlichen Kampf wappneten.
»Ich habe dich verloren, Sephrenia!« rief Zalasta. »Aber ich werde nicht dulden, daß du diesen Elenier heiratest!«
Aphraels langes schwarzes Haar flatterte, als sie zu ihrer Schwester rannte. Ihr kleines Gesicht verriet unerbittliche Entschlossenheit.
»Fürchte dich nicht, Aphrael«, sprach Zalasta nun in förmlichem Styrisch. »Ich bin nicht zu diesem verfluchten Ort gekommen, um mich gegen dich oder deine wankelmütige Schwester zu stellen. Ich spreche in dieser Sache für Styrikum, und ich bin erschienen, um diese ungeheuerliche Zeremonie zu verhindern, die eine Schmach für unser gesamtes Volk ist.« Er richtete sich auf und deutete anklagend auf Sephrenia. »Ich fordere dich auf, Weib, diesem widernatürlichen Schauspiel eine Ende zu bereiten! Hebe dich hinweg, Sephrenia von Ylara! Diese Hochzeit wird nicht stattfinden!«
»Sie wird stattfinden!«
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