Tamuli 3 - Das Verborgene Land
eingeholt, Hochmeister Komier«, meldete er. »Er sagt, er habe wichtige Nachrichten für Euch.« Komier nickte und ritt zum Heer zurück.
Die anderen setzten ihren Weg fort, während die Schneeflocken dichter fielen.
Komier lachte schallend, als er sich wieder zu ihnen gesellte. Den Kurier hatte er mitgebracht.
»Was ist denn so lustig?« fragte Bergsten.
»Wir haben gute Neuigkeiten von zu Hause, Eminenz«, antwortete Komier grinsend. »Erzählt unserem geliebten Patriarchen, was Ihr mir soeben berichtet habt«, forderte er den Kurier auf.
»Jawohl, hoher Herr.« Der Thalesier mit den blonden Zöpfen blickte Bergsten an. »Es geschah vor einigen Wochen, Eminenz, da konnten die Burgdiener eines Morgens den Prinzregenten nirgends finden, keine Spur von ihm! Zwei volle Tage lang haben die Leibwächter die ganze Burg regelrecht auf den Kopf gestellt, aber das kleine Wiesel schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein.«
»Hütet Eure Zunge, Mann!« grollte Bergsten. »Schließlich ist Avin der Prinzregent – auch wenn er tatsächlich ein kleines Wiesel ist.«
»Verzeiht, Eminenz. Jedenfalls gab es der ganzen Hauptstadt ein Rätsel auf. Denn sobald Avin Wargunsson sich irgendwohin begab, hat er gleich eine ganze Blaskapelle mitgenommen, die mit Fanfarengeschmetter auf ihn aufmerksam machte. Nun – dann fiel einem Kammerdiener ein volles Faß Wein in Avins Studiergemach auf. Das kam dem Mann merkwürdig vor; denn Avin hielt nicht viel von Wein. Also hat man sich das Faß genauer angeschaut. Offensichtlich war es bereits einmal geöffnet worden; denn auf dem Fußboden befanden sich eingetrocknete Weinlachen. Nun, Eminenz, die Suche nach Avin hatte alle Beteiligten ziemlich durstig gemacht; deshalb beschlossen sie, das Faß zu öffnen. Doch sie stellten fest, daß der Deckel festgenagelt war. Aber in Thalesien nagelt niemand ein Weinfaß zu; darum wurden alle sofort mißtrauisch. Sie holten Beißzangen, zogen die Nägel heraus und nahmen den Deckel ab – und da war Avin! Mit dem Gesicht nach unten schwamm er mausetot im Wein.« »Das kann nicht Euer Ernst sein!«
»O doch, Eminenz. Irgend jemand in Emsat hat offenbar eine merkwürdige Art von Humor. Er hat sich die Mühe gemacht, dieses riesige Faß in Avins Studiergemach zu rollen, nur damit er ihn hineinstopfen und den Deckel zunageln konnte. Avin hat offenbar wild ums Überleben gekämpft. Er hatte Holzsplitter unter den Fingernägeln, und auf der Deckelunterseite befanden sich tiefe Kratzspuren. Es war kein schöner Anblick. Ich glaube, nachdem man ihn herausgefischt hatte, tropfte noch zwei Stunden lang Wein aus ihm heraus. Die Burgdiener bemühten sich, ihn für die Bestattung einigermaßen herzurichten, aber Ihr wißt ja selbst, wie schlecht Rotweinflecken sich entfernen lassen. Avin war so purpurfarben wie ein klarer Himmel beim Sonnenuntergang, als man ihn in der Kathedrale von Emsat aufbahrte.« Der Kurier rieb sich nachdenklich die Wange. »Es war der seltsamste Trauergottesdienst, an dem ich je teilgenommen habe. Der Primas von Emsat hat heldenhaft gekämpft, sein Lachen zu unterdrücken, als er die Abschiedsrede hielt. Tja, er hat diesen Kampf verloren, und das führte dazu, daß die gesamte Trauergemeinde in herzhaftes Gelächter ausbrach. Da lag unser Avin auf dem Katafalk, kleiner als eine halb ausgewachsene Ziege und blau wie eine reife Pflaume, und in der ehrwürdigen Kathedrale krümmte sich alles vor Lachen.« »Na ja, zumindest galt Avin die allgemeine Aufmerksamkeit«, meinte Komier. »Das war immer sehr wichtig für ihn.«
»O ja. Und er hatte wahrhaftig vollste Aufmerksamkeit, Hochmeister Komier. Aller Augen waren auf ihn gerichtet. Dann, nachdem man ihn in die Königskrypta getragen hatte, feierte die ganze Stadt, und wir alle brachten Trinksprüche auf den im Rotwein verblichenen Avin Wargunsson aus. Es ist nicht leicht, in Thalesien einen Grund zum Lachen zu finden, wenn der Winter vor der Tür steht, doch Avin ist es gelungen, die dunkle Jahreszeit für uns mit Frohsinn zu erhellen.«
»Was war es denn für ein Wein?« fragte Patriarch Bergsten ernst.
»Arzischer Roter, Eminenz.«
»Weiß man, welcher Jahrgang?«
»Ich glaube, vom vergangenen Jahr.«
»Ein hervorragender Tropfen!« Bergsten seufzte. »Es gab wohl keine Möglichkeit, ihn zu retten?«
»Avin?«
»Wer interessiert sich für Avin? Ich meine den Wein.«
»Der war nicht mehr zu retten, nachdem Avin zwei Tage darin herumgeschwommen ist, Eminenz.«
Wieder seufzte Bergsten.
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