Tamuli 3 - Das Verborgene Land
wollen sie lediglich aus dem Weg haben.« »Ich halte es immer noch für strategisch unklug, Eminenz.«
»Euch steht eine eigene Meinung zu, mein Sohn«, erwiderte Bergsten. »Es geht hier nicht um ein Glaubensgebot, und in diesem Fall hat unsere Heilige Mutter durchaus nichts gegen Meinungsverschiedenheiten und Diskussionen einzuwenden.« »Genau das dachte ich eben auch, wißt Ihr.«
Im breiten Tal des Esos, unmittelbar südlich der zemochischen Stadt Basne – knappe hundert Meilen westlich der astelischen Grenze – stießen sie auf die gegnerische Streitmacht. Die Meldungen der Späher und die Informationen, die sie von den Gefangenen erhalten hatten, erwiesen sich als richtig. Was sich ihnen da in den Weg stellte, war weniger eine militärische Truppe als eine schlecht bewaffnete Horde, die sich in heillosem Durcheinander vorwärts bewegte.
Die Hochmeister der vier Orden scharten sich um Patriarch Bersten, um eine kurze Lagebesprechung zu halten. »Sie sind Angehörige unseres eigenen Glaubens«, erinnerte Bergsten die anderen. »Unsere Meinungsverschiedenheiten liegen im Bereich der Kirchenverwaltung, nicht im Glauben als solchem. So etwas läßt sich nicht auf dem Schlachtfeld bereinigen. Ich möchte nicht, daß zu viele von diesen Leuten getötet werden.«
»Da sehe ich keine große Gefahr, Eminenz«, beruhigte Hochmeister Abriel ihn. »Auf einen von uns kommen zwei von ihnen«, warf Ritter Heldin ein.
»Ein Sturmangriff dürfte für gleiche Kräfteverhältnisse sorgen, Heldin«, erwiderte Abriel. »Diese Männer sind keine Soldaten. Sie sind momentan zwar wild auf den Kampf, aber sie sind nicht ausgebildet, und die Hälfte von ihnen ist lediglich mit Heu- und Mistgabeln bewaffnet. Wenn wir unsere Visiere herunterklappen, unsere Lanzen einlegen und auf sie losstürmen, werden sie rennen wie die Hasen.«
Des ehrwürdigen Hochmeisters Einschätzung der Lage sollte sich zum Teil als richtig erweisen, zum anderen jedoch als folgenschwerer Irrtum – als tödlicher Irrtum sogar, was Abriel selbst betraf. Die Ritter fächerten in exakter Formation aus und bildeten eine breite Front, die sich über das gesamte Tal erstreckte: Cyriniker, Pandioner, Genidianer und Alzioner, alle in stählernen Plattenrüstungen und in den Sätteln ihrer kampferprobten Streitrosse; eine ungeheure Armee und die Zurschaustellung organisierter militärischer Kraft – vielleicht sogar der größten Streitmacht der Welt. Die Hochmeister warteten genau in der Mitte der vordersten Reihe, während ihre Untergebenen die hinteren Reihen zusammenstellten und die Kuriere nach vorn galoppierten, um zu melden, daß alles einsatzbereit war.
»Das dürfte genügen, um sie einzuschüchtern«, sagte Komier ungeduldig. »Ich glaube nicht, daß wir auch den Troß zum Sturm einsetzen müssen.« Er ließ den Blick über seine Freunde schweifen. »Wollen wir es angehen, meine Herren? Zeigen wir diesem Gesindel da vorn, wie echte Soldaten einen Angriff beginnen!« Er gab einem riesigen genidianischen Ritter ein knappes Zeichen, und der blonde Hüne blies schmetternd seine Ogerhorntrompete.
Die Ritter in der vordersten Reihe klappten ihre Visiere herunter und stießen ihren Pferden die Fersen in die Weichen. Die zu absolutem Gehorsam und vollkommener Einsatzbereitschaft ausgebildeten Ritter und Pferde galoppierten in einer völlig geraden Linie, wie eine Stahlmauer, die sich vorwärts bewegte.
Mitten im Sturm senkten sie die erhobenen Lanzen und richteten die stählernen Spitzen in einer funkelnden Linie auf die gegnerische Armee – und dort begann im selben Augenblick eine wilde Flucht. Die schlecht ausgebildeten Leibeigenen und Bauern brachen aus den Reihen aus, warfen ihre Waffen von sich und rannten los, kreischend vor Angst und so schnell ihre Beine sie trugen. Da und dort hielten einige besser ausgebildete Einheiten dem Ansturm der Angreifer stand, doch die Flucht ihrer Verbündeten setzte die Flanken ihres Heeres ungeschützt dem Gegner aus. Die Ritter warfen sich waffenklirrend auf diese wenigen Einheiten. Wieder einmal verspürte Abriel das Hochgefühl, das ihn bei jeder Schlacht überkam. Seine Lanze zersplitterte an einem hastig vorgestreckten Schild. Abriel schleuderte die nun nutzlose Waffe von sich und zog sein Schwert. Er schaute sich um und bemerkte, daß sich hinter den Bauern und Leibeigenen andere Streitkräfte verborgen hatten – und daß diese Armee anders als jede andere war, die er je zuvor gesehen hatte. Die Soldaten waren
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