Tamuli 3 - Das Verborgene Land
groß, größer sogar als die Thalesier. Sie trugen Kettenhemden und Brustharnische; letztere lagen so eng an ihren Körpern an, daß jeder Muskel sich unter dem schimmernden Stahl abzeichnete. Ihre ehernen Helme waren den Köpfen seltsamer, bizarrer Tiere nachgebildet und besaßen keine herkömmlichen Visiere, sondern waren statt dessen mit stählernen Masken versehen, die so geschmiedet waren, daß sie individuelle Gesichtszüge aufwiesen.
So sehen wahrscheinlich diese Krieger hinter den Masken aus, ging es Abriel durch den Kopf. Plötzlich lief dem cyrinischen Hochmeister ein eisiger Schauer über den Rücken, als er erkannte, daß diese furchteinflößenden, entsetzlichen Wesen keine Menschen waren.
In der Mitte dieser nichtmenschlichen Armee befand sich ein Lederzelt in ungewöhnlicher Kuppelform: ein geripptes schwarzes Zelt von gigantischen Ausmaßen.
Doch da bewegte es sich, öffnete sich, entfaltete zwei gewaltige, geschwungene Flügel, ähnlich jenen von Fledermäusen. Und dann erhob sich unter dem Schutz dieser Schwingen ein Wesen von unvorstellbarer Größe, ein Geschöpf vollkommener Finsternis mit einem Kopf wie ein umgedrehter Keil und breiten, nach oben spitz zulaufenden Ohren. Zwei Augen loderten in einem auf schreckliche Weise nicht vorhandenen Gesicht, und zwei riesige Arme reckten sich gierig nach vorn. Blitze zuckten unter der glänzenden schwarzen Haut, und der Boden, auf dem die Kreatur stand, rauchte und wurde zu schwarzer Asche versengt.
Abriel wurde von einer seltsamen, tiefen Ruhe durchdrungen. Er hob sein Visier, um diesem Geschöpf der Hölle fest in die Augen zu blicken.
»Endlich«, murmelte er. »Endlich ein geziemender Gegner.« Er klappte sein Visier wieder zu, zog seinen mächtigen Schild vor den Körper und hob das Schwert, das er über ein halbes Jahrhundert ehrenhaft geführt hatte. Seine völlig ruhigen Hände schwangen die Waffe, und er stürmte an gegen diese Monstrosität, die sich immer noch vor ihm erhob, höher und höher. »Für Gott und Arzium!« rief Abriel herausfordernd. Er wappnete sich und stürmte geradewegs ins Nichts.
8
Edaemus als gekränkt zu bezeichnen, wäre eine maßlose Untertreibung gewesen. Das verschwommene weiße Licht, als das der Gott der Delphae zu sehen war, flackerte an den Rändern in einem wilden, verwirrenden roten Farbenspiel, und von dem feinen Pulverschnee in der kleinen Mulde oberhalb des Tales der Delphae stiegen Dampfschwaden auf, als der göttliche Zorn ihn zum Schmelzen brachte. »Nein!« rief Edaemus unerbittlich. »Kommt nicht in Frage!«
»Aber Vetter, sei doch vernünftig«, versuchte Aphrael ihn umzustimmen. »Die Lage hat sich geändert! Du klammerst dich da an etwas, das längst jeglichen Sinnes entbehrt! ›Ewige Feindschaft‹ mag ja früher gerechtfertigt erschienen sein, und ich gebe zu, daß meine Familie sich während des Krieges mit den Cyrgai nicht gerade anständig benommen hat, aber das ist doch schon so lange her! Jetzt noch an deinen verletzten Gefühlen festzuhalten, ist kindisch!«
»Wie konntest du nur, Xanetia?« rief Edaemus anklagend. »Wie konntest du das tun?«
»Es war zu unserem Besten, Geliebter«, antwortete sie. Sephrenia war verblüfft über diese enge persönliche Beziehung Xanetias zu ihrem Gott. »Du selbst hast mir befohlen, Anakha zu unterstützen. Da er Sephrenia zutiefst verehrt, mußte ich zu einer Übereinstimmung mit ihm kommen. Als Sephrenia und ich die Mauer der Feindschaft durchbrochen hatten, die zwischen uns stand, und als wir uns einander vertrauensvoll näherten, milderten Respekt und ein gemeinsames Ziel unseren traditionellen gegenseitigen Haß, der sich fast wie von selbst in tiefe Zuneigung verwandelte. In meinem Herzen ist sie nun meine teure Schwester.«
»Das ist ungeheuerlich! In meinem Beisein wirst du nie wieder so von dieser Styrikerin sprechen!«
»Wie du befiehlst, Geliebter.« Sie senkte ergeben den Kopf; dann aber riß sie das Kinn hoch, und ihr inneres Licht war nun von blendender Helligkeit. »Aber tief in meinem Herzen werde ich stets so denken!«
»Bist du jetzt endlich bereit, zuzuhören, Edaemus?« fragte Aphrael. »Oder möchtest du dich erst noch ein Jahrhundert lang einem kindischen Tobsuchtsanfall hingeben?«
»Du bist sehr keck, Aphrael!« rügte er.
»Ja, ich weiß. Das ist eine der Eigenschaften, die man an mir so entzückend findet. Aber du weißt doch, daß Cyrgon versucht, Bhelliom in seine Gewalt zu bekommen, nicht wahr? Oder warst du zu
Weitere Kostenlose Bücher