Tamuli 3 - Das Verborgene Land
»Über Sorgis Lippen kommt kein unbedachtes Wort. Er wurde dafür bezahlt, uns unauffällig nach Beresa zu bringen, und Sorgi tut immer, wofür er bezahlt wird.«
Der Kapitän kehrte am Spätnachmittag zurück. Sie lichteten den Anker und legten an einem der langen Piers an. Am nächsten Morgen löschten sie die Fracht. Der Bootsmann knallte nur wenige Male mit der Peitsche, und die Arbeit war rasch getan. Als die Frachträume geleert waren, reihten die Männer sich auf und schritten im Gänsemarsch übers Achterdeck, wo Sorgi mit einer Liste und Stapeln abgezählter Münzen an einem kleinen Tisch saß. Jeden, dem er die Heuer auszahlte, bedachte er mit einer kurzen Rede. Die Worte variierten leicht, doch der Sinn war stets der gleiche. »Mach mir an Land keine Dummheiten und kehr rechtzeitig an Bord zurück. Ich werd' nicht auf dich warten, falls du nicht zurück bist, wenn ich in See steche!« Auch als er Sperber und seine Freunde auszahlte, änderte Sorgi seine Rede nicht. Sein Gesicht verriet in keiner Weise, daß er zu ihnen sprach und nicht zu gewöhnlichen Besatzungsmitgliedern.
Schließlich schlurften Sperber und seine beiden Gefährten, ihre Seesäcke über den Schultern, die Laufplanke hinunter. »Jetzt verstehe ich, warum Seeleute so unternehmungslustig sind, wenn sie einen Hafen erreichen«, sagte Sperber. »Das war nun wirklich keine allzu lange Seereise; trotzdem habe ich das Bedürfnis, kräftig über die Stränge zu schlagen.«
»Wohin gehen wir?« fragte Talen, als sie die Straße erreichten.
»Es gibt da die ›Seemannsruh‹, einen angeblich recht ruhigen und sauberen Gasthof. Er liegt ein Stück außerhalb der allzu lauten Hafengegend. Dort könnten wir gewissermaßen unser Hauptquartier aufschlagen.«
Die Sonne ging bereits unter, als sie durch die lauten, übelriechenden Straßen Beresas schlenderten. Die Häuser waren hauptsächlich aus Holzbalken erbaut, da Stein im sumpfigen Delta des Arjuns selten war. Allerdings schien das Holz bereits vor der Verarbeitung von Fäulnis befallen gewesen zu sein. Moos und Pilze wucherten überall, und die Luft war dick von der kalten Feuchtigkeit und dem beißenden Holzrauch der Köhlereien vor der Stadt. Die Haut der Arjuner war merklich dunkler als die ihrer tamulischen Vettern im Norden. Ihre Augen wirkten unstet, und selbst wenn sie gleichmütig durch die schlammigen Straßen ihrer häßlichen Stadt spazierten, vermittelte es den Eindruck von Verstohlenheit. Während die drei Gefährten durch die dreckigen Straßen schritten, murmelte Sperber heimlich den Zauber und gab ihn behutsam frei, um ja nicht die Beobachter darauf aufmerksam zu machen, von deren Anwesenheit er überzeugt war.
»Und?« flüsterte Talen. Er war schon lange genug bei Sperber, um zu erkennen, daß der große Pandioner sich soeben der Magie bedient hatte.
»Sie sind da draußen«, antwortete Sperber. »Ich kann drei von ihnen spüren.« »Konzentrieren sie sich auf uns?« fragte Stragen angespannt.
Sperber schüttelte den Kopf. »Nein. Sie beobachten alles und jeden. Sie sind keine Styriker; deshalb werden sie nicht wissen, daß ich sie gesucht habe. Gehen wir einfach weiter. Falls sie uns folgen, sage ich euch Bescheid.«
Die Seemannsruh war ein viereckiges, sauberes Haus, dessen Inneres mit Fischernetzen und seemännischem Krimskrams geschmückt war. Ein wohlbeleibter Kapitän im Ruhestand und seine nicht minder beleibte Frau führten die Pension. Sie duldeten keinen Unfug unter ihrem Dach und jeder, der bei ihnen absteigen wollte, mußte zuvor eine lange Liste von Hausregeln über sich ergehen lassen. Von einigen Dingen, die hier verboten waren, hatte Sperber noch nie gehört.
»Wohin jetzt?« fragte Talen, nachdem sie ihre Seesäcke im zugewiesenen Zimmer verstaut hatten und wieder auf die schlammige Straße getreten waren.
»Zurück zum Hafen«, erwiderte Stragen. »Der hiesige Diebeskönig heißt Estokin. Er macht hauptsächlich mit Schmugglern Geschäfte, aber auch mit Seeleuten, die sich aus den Frachträumen ihrer Schiffe bedient haben. Ich habe ein Schreiben von Caalador dabei. Angeblich hat er uns hierher geschickt, damit wir uns vergewissern, daß er wirklich seinen gerechten Anteil an den Einnahmen während des Erntedankfestes bekommen hat. Arjuner sind nicht gerade als vertrauenswürdig bekannt; darum wird Estokin über unseren Besuch nicht sehr überrascht sein.« Estokin, der Arjuner, sah aus, als wäre er zum Gauner geboren. Er hatte das vielleicht
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