Tamuli 3 - Das Verborgene Land
tückischste Gesicht, das Sperber je gesehen hatte. Sein linkes Auge spähte stets in nordöstliche Richtung, und das rechte zuckte laufend. Sein dünner, borstiger Bart trug nicht gerade dazu bei, sein von schuppigem Ausschlag bedecktes Gesicht zu zieren, das er fast unentwegt kratzte, wodurch weiße Hautflocken wie vom Winterhimmel herabschneiten. Seine hohe, näselnde Stimme hörte sich wie das Summen eines riesigen, hungrigen Insekts an, und er stank nach Knoblauch, billigem Wein und Salzhering.
»Beschuldigt Caalador mich etwa, ich hätte ihn betrogen, Vymer?« fragte er mit leicht übertriebener Entrüstung.
»Natürlich nicht.« Stragen lehnte sich in dem klapprigen Sessel im Hinterzimmer der stinkigen Hafenspelunke zurück. »Wenn das der Fall wäre, dann wärst du bereits tot! Caalador will sich nur vergewissern, daß wir niemand übersehen haben. Waren die Einheimischen sehr bestürzt, als die Leichen gefunden wurden?«
Estokin blinzelte Stragen mit dem rechten Auge an. »Was ist ihm die Auskunft wert?« »Wir haben die Anweisung, dich am Leben zu lassen, wenn du dich hilfsbereit zeigst«, entgegnete Stragen kalt.
»So kannst du mich nicht bedrohen, Vymer!« spielte Estokin sich auf.
»Ich hab' dich nicht bedroht, alter Junge. Ich hab' dir nur gesagt, wie die Dinge stehen. Aber kommen wir zur Sache. Wer hat sich hier in Beresa über die Morde aufgeregt?«
»Nicht sehr viele.« Stragens kühle Überlegenheit hatte Estokin offenbar zu denken gegeben. »Vor allem ein Styriker, der vor dem Erntedankfest sehr freigiebig mit seinem Geld gewesen war.« »Was hat er gekauft?«
»Hauptsächlich Informationen. Er stand auf der Liste, die Caalador mir gegeben hat; aber er konnte sich in Sicherheit bringen. Er ist in den Dschungel geritten. Zwei meiner Meuchler sind ihm auf der Fährte.«
»Ich würde gern mit dem Kerl reden, bevor sie ihn in den ewigen Schlaf schicken.« »Wird sich wohl nicht mehr machen lassen. Dazu sind sie schon viel zu weit in den Dschungel vorgedrungen.« Estokin kratzte sich an der Stirn und löste dabei wieder ein Schneegestöber aus.
»Ich weiß nicht, warum Caalador all diese Leute umbringen lassen wollte«, sagte er, »und ich glaub', ich will's auch gar nicht wissen. Aber es stinkt ein bißchen nach Politik, und hier in Arjuna bedeutet das, die Sache hat irgendwie mit Scarpa zu tun. Du solltest Caalador vielleicht warnen, sehr vorsichtig zu sein. Ich hab' mit ein paar Deserteuren aus dem Rebellenlager im Dschungel gesprochen, und wir alle hier haben Geschichten darüber gehört, wie verrückt Scarpa ist. Wenn bloß die Hälfte von dem stimmt, was ich gehört hab', dann ist Scarpa der schlimmste Irre, der je gelebt hat.« Sperbers Magen verkrampfte sich.
Vater?
Rasch setzte Sperber sich im Bett auf.
Bist du wach? fragte die Kindgöttin, und ihre Stimme drang lautstark in seine Gedanken.
»Natürlich. Aber red nicht so laut! Da klappern mir ja meine Zähne.«
Ich wollte nur sicher sein, daß du mich hörst. Es hat sich was getan. Berit und Khalad haben neue Anweisungen von Krager erhalten. Sie sollen sich nach Sopal begeben, statt nach Beresa zu kommen.
Sperber fluchte.
Bitte nicht solche Worte, Vater. Ich bin ja noch ein kleines Mädchen, wie du weißt. Er ignorierte die Bemerkung. »Soll der Austausch in Sopal stattfinden?«
Schwer zu sagen. Bevier hat sich ebenfalls mit mir in Verbindung gesetzt. Kalten hat sich mit einem Gesetzlosen unterhalten, der den Soldaten in Natayos Bier verkauft. Der Mann hat erzählt, daß Scarpa in diese Stadt zurückgekehrt ist – mit zwei elenischen Frauen.
Sperbers Herz schlug schneller. »Und? Stimmt diese Meldung?«
Kalten glaubt es jedenfalls. Der Bursche hatte keinen Grund zu lügen. Allerdings hat Kaltens Bierhändler die Frauen nicht mit eigenen Augen gesehen, also schraub deine Hoffnungen nicht zu hoch. Es könnte durchaus eine raffiniert eingefädelte Sache sein. Zalasta ist in Natayos. Es kann sein, daß er dich dorthin locken oder dich überlisten will, so daß du die Geheimnisse ausplauderst. Er kennt dich gut genug, um zu wissen, daß du alles versuchen wirst, irgend etwas Unerwartetes zu tun. »Kannst du herausfinden, ob deine Mutter in Natayos ist?«
Ich fürchte nein. Scarpa ist keine Gefahr, doch an Zalasta komme ich nicht vorbei.
Es ist zu riskant!
»Was tut sich sonst noch?«
Ulath und Tynian haben die Trollgötter erreicht. Ghnomb bringt sie nach Sopal – in seiner eingefrorenen Zeit, auf die er so stolz ist. Sie
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