Tamuli 3 - Das Verborgene Land
beiläufig, ob es dieselben Jungen waren, die sie bewacht hatte, als er vor sechs Jahren zum erstenmal in diesem Zauberreich gewesen war.
Aber natürlich, Sperber, murmelte Aphraels Stimme in sein Ohr. Hier ändert sich niemals etwas.
Er lächelte.
Das weiße Reh führte ihn zu dem wunderschönen, aber wenig seetüchtigen Boot mit Schwanenhals, Segeln wie Schwingen und feinem Zierrat, von dem so viel aus dem Wasser ragte, daß ein Nieser das Boot hätte kentern lassen, wäre es im Wasser der wirklichen Welt getrieben.
Kritikaster, rügte Aphrael.
Es ist dein Traum, Göttin. Du kannst darin jede Unmöglichkeit entstehen lassen, ganz wie es dir gefällt.
Oh, danke, Sperber! sagte sie ironisch.
Das smaragdgrüne Inselchen mit den uralten Eichen und Aphraels Alabastertempel erstrahlten in der saphirblauen See, und nach wenigen Minuten legte das Schwanenhalsboot am goldenen Strand an. Sperber schaute sich um, während er auf den Sand stieg. Hier, in diesem ewigen Traum, besaßen die Gefährten ihre gewohnten Gesichter. Einige von ihnen waren schon des öfteren auf der Insel gewesen, doch jene, die zum erstenmal hier waren, konnten ihr Staunen nicht verbergen. Sie alle lagen in dem weichen, üppigen Gras der Zauberinsel.
Die Kindgöttin und Sephrenia saßen auf einer Alabasterbank im Tempel. Aphraels Miene war nachdenklich, während sie auf ihrer Syrinx eine komplizierte styrische Weise in Moll spielte. »Wieso kommst du erst jetzt, Sperber?« Sie senkte ihr Instrument.
»Die für meine Reise zuständige Person hat einen kleinen Umweg mit mir gemacht«, antwortete er. »Sind wir alle hier?«
»Alle, die hier sein sollen! Kommt herauf, ihr alle, und laßt uns beginnen.«
Sie stiegen den Hang zum Tempel hinauf.
»Wo ist dieser Ort?« fragte Sarabian ehrfürchtig.
»Aphrael trägt ihn in ihrer Phantasie mit sich, Majestät«, erwiderte Vanion. »Hin und wieder lädt sie uns hierher ein. Sie gibt gern damit an.« »Das ist eine Kränkung, Vanion!« rügte ihn die Kindgöttin. »Aber ich habe doch recht, nicht wahr?«
»Natürlich. Trotzdem wäre es höflicher gewesen, es zu verschweigen.«
»Irgendwie fühle ich mich hier anders«, bemerkte Caalador. »Besser.«
Vanion lächelte. »Es ist ein heilender Ort, mein Freund. Zum Ende des Zemochischen Krieges war ich sehr krank. Ich lag im Sterben, um ehrlich zu sein. Aphrael brachte mich für etwa einen Monat hierher, und ich wurde kerngesund.« Als sie alle den kleinen Tempel erreicht hatten, nahmen sie auf den Marmorbänken rund um den Säulenkreis Platz. Sperber schaute sich stirnrunzelnd um. »Wo ist Emban?« fragte er ihre Gastgeberin.
»Seine Anwesenheit wäre nicht schicklich, Sperber. Euer elenischer Gott duldet Ausnahmen im Fall von Ordensrittern; aber er bekäme wahrscheinlich einen Tobsuchtsanfall, brächte ich einen Patriarchen seiner Kirche hierher. Ich habe auch die Ataner nicht eingeladen – und die Peloi ebensowenig.« Sie lächelte. »Weder die einen noch die anderen können sich mit dem Gedanken abfinden, daß es mehr als nur einen Gott gibt, und dieser Ort würde sie wahrscheinlich noch mehr verwirren.« Sie verdrehte die Augen. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie lange ich gebraucht habe, Edaemus zu überreden, Xanetia mitkommen zu lassen. Er mißbilligt alles an mir. Er hält mich für frivol!«
»Dich?« Sperber tat erstaunt. »Wie kann er so was auch nur denken?«
»Kommen wir zur Sache!« rief Sephrenia. »Wie wär's, wenn Ihr beginnt, Berit? Im großen und ganzen wissen wir, was geschehen ist, aber wir kennen keine Einzelheiten.«
»Jawohl, erhabene Sephrenia.« Der junge Ritter berichtete. »Khalad und ich folgten der Küste abwärts. Praktisch von dem Moment an, als wir an Land kamen, wurden wir beobachtet. Ich bediente mich des Zaubers und konnte den Beobachter auf diese Weise als Styriker identifizieren. Nach mehreren Tagen kam er zu uns und gab uns einen weiteren dieser Briefe von Krager. In dem Schreiben wies er uns an, der Küste weiter zu folgen, doch statt südwärts zu ziehen, landeinwärts nach Sopal abzubiegen, sobald wir die Tamulischen Berge hinter uns hatten. In Sopal sollten wir weitere Anweisungen erhalten. Der Brief war zweifellos von Krager; denn auch ihm war eine Strähne von Königin Ehlanas Haar beigelegt.«
»Schon deshalb werde ich mir Krager vorknöpfen, sobald ich ihn eingeholt habe!« erklärte Khalad düster. »Er soll wissen, wie sehr wir es ihm übelnehmen, daß er Hand an das Haar der Königin gelegt hat.
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