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Tangenten

Tangenten

Titel: Tangenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Leroux.
    »Er wird ein Video von deinem Gesicht machen. In der Bewegung«, sagte Fayette. »Dann digitalisiert er es und fertigt eine Laserschaum-Form an – viel besser, als für einen Gesichtsabdruck sitzen zu müssen. Letztes Jahr hat er einen Gesichtsabdruck von mir gemacht, um mich in den Glöckner von Notre Dame zu verwandeln. Das war kein Spaß.«
    »Diese Technik ist weitaus besser«, sagte Leroux, berührte sanft die Haut an ihrer Wange und unter ihrem Kinn, zog ihr Haar zurück, um ihre Schläfen zu ertasten. »Ich kann zwei oder drei Formen fertigen, die zeigen, wie dein Gesicht und dein Hals sind, wenn sie sich in verschiedenen Positionen befinden. Dann kann ich das Gießmittel der Flexibilität und Elastizität anpassen.«
    »Wenn er mit dir fertig ist, erkennst du dich selbst nicht mehr«, sagte Fayette.
    »Reena sagt, du hast ein Bild von deiner Urgroßmutter. Darf ich es sehen?« fragte Leroux. Sie gab ihm die Kladde, und er blickte sich das Bild mit solcher Intensität an, daß er ein wenig schielte. »Was für ein wundervolles Gesicht«, sagte er. »Ich habe meine Urgroßmutter nie getroffen. Meine eigene Großmutter sieht fast so alt aus wie meine Mutter. Sie könnten Schwestern sein.«
    »Wenn er mit dir fertig ist«, sagte Fayette, dessen Enthusiasmus langsam lästig wurde, »sehen du und deine Urgroßmutter aus wie Schwestern!«
     
    Als sie an diesem Abend mit einer späten Metro von der Schule nach Hause fuhr, fragte sie sich, was sie da eigentlich tat. Die ganzen Jahre in der Schule hatte sie sich von ihren Mitschülern ferngehalten. Was einer Freundschaft noch am nächsten kam, waren ihre gelegentlichen Neckereien mit John Lockwood, während sie an den Mods saß und auf die Lehrer wartete. Nun mochte sie tatsächlich Fayette und den sonderbaren Leroux, dessen Hände dünn und blaß und stark und etwas kalt waren. Leroux war ein VEK, aber offensichtlich besaßen seine Eltern verschiedene Geschmäcker; war er ein Begabter? Niemand hatte etwas davon gesagt. Vielleicht war es eine Frage der Ehre unter den VEKs, daß sie vorgaben, sich nicht um ihre Klassifikationen zu scheren.
    Reena war freundlich und hilfreich, aber immer noch distanziert.
    Als Letitia die Stufen hinaufstieg, über die Veranda durch die Tür ihres Zuhauses ging und ihr Keyboard neben dem Abstellraum ablud, sah sie aus den Augenwinkeln eine Nachrichtensendung im Wohnzimmer flimmern. Niemand sah zu; sie vermutete, daß alle in der Küche waren.
    Von diesem Winkel aus wirkte die Sprecherin durchscheinend und blau, wie ein Gespenst. Als Letitia weiterging, wurde der Winkel besser und die Sprecherin solider. Es war eine förmliche Göttin von orientalisch-negroiden Zügen mit hohen Wangenknochen, glatten goldenen Haaren und kupferfarbenem Hautton. Letitia kümmerte sich nicht um ihr Aussehen. Was sie sagte, erregte ihre Aufmerksamkeit.
    »…heute offenbart worden, daß ein Viertel aller VEKs, die vor sechzehn und siebzehn Jahren initiiert wurden, mit einer fehlerhaften Chromosomensequenz mit der Bezeichnung T56-WA 5659 ausgerüstet worden sind. Ursprünglich Teil einer Intelligenzsteigerungs-Makrobox, die für den Zuwachs kreativer und mathematischer Fähigkeiten verwendet wurde, wurde T56-WA 5659 verbessert und zur Standardoption für förmlich alle Vorher-Entworfenen Kinder. Die Folgen dieser fehlerhaften Sequenz sind bis jetzt noch nicht genau bekannt, aber mindestens zwanzig Kinder in unserer Stadt sind bereits gestorben. Sie alle hatten die Anfangssymptome, die auch bei Epilepsie auftreten. Nationenweite Fälle sind bisher nicht bekannt. Die Rifkin-Gesellschaft beschuldigt die Regulationsdienststellen der Regierung einer großangelegten Vertuschungsaktion.
    Die Elterliche-Vorgeburts- Entwurf-Administration rät den Eltern von VEK-Kindern mit der betreffenden Initiierung, unmittelbar Kontakt mit ihren Medizinern und Design-Spezialisten aufzunehmen, und diese um Rat und Behandlung zu bitten. Für jüngere Kinder kommt eventuell eine retrovirale Ganzkörpertherapie in Frage. Für weitergehende Informationen wenden Sie sich bitte direkt an unsere LitVid-Online und rufen…«
    Letitia wandte sich um und sah ihre Mutter, die das Ganze in einer Art grimmiger Zufriedenheit beobachtete. Als sie den betroffenen Ausdruck ihrer Tochter bemerkte, schien sie plötzlich bekümmert. »Wie bedauerlich«, sagte sie. »Ich frage mich, wie weit das wohl noch gehen wird.«
    Letitia aß während des Dinners nicht viel. Auch schlief sie in dieser

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